Madrapour - Merle, R: Madrapour
bezeugen, daß kein Kleid der Welt über den kleinen Wuchs, das Bäuchlein und die schlaffen Brüste ihrer Begleiterin hinwegtäuschen könnte. Da Mrs. Boyd aber hartnäckig ihrem Schmerz nachhängt, sagt Mrs. Banister schließlich in gleichermaßen liebenswürdigem wie hochmütigem Tonfall:
»Aber Margaret, nun verzweifeln Sie doch nicht! Sie sind doch nicht die einzige, die ihre Sachen verloren hat! Und dieser Verlust ist auch nicht unwiederbringlich!«
»Meinen Sie?« fragt Mrs. Boyd, inmitten ihrer Tränen ungeniert schniefend. »Mein Geld! Mein Schmuck! Meine Kleider! Man hat mir alles genommen!«
»Aber nicht doch«, sagt Mrs. Banister mit leichtem Spott, aus ihren japanischen Augen einen Einverständnis heischenden Blick auf Manzoni werfend, »man hat Ihnen nicht alles genommen! Ich kenne etliche Leute, die ganz gut zurechtkämen mit dem, was Ihnen bleibt! Nach der Ankunft in Madrapour rufen Sie Ihren Bankier in Boston an, und spätestens am Tag darauf erhalten Sie eine kleine telegraphische Anweisung.« (Bei diesem »klein« deutet sie einen Flunsch an.)
»Und was soll ich mir dafür kaufen? In diesem Land von Wilden!« sagt Mrs. Boyd, immer noch weinerlich, aber mit einem Anflug von Humor, weil sie wohl doch hinter der liebenswürdigen Fassade den Hohn wittert.
»Dasselbe wie ich!« erwidert Mrs. Banister. »Saris! Die sind wirklich entzückend und so weiblich. Ich bin sicher«, fährt sie mit einem an Manzoni gerichteten Lächeln fort, der seinerseits das Spiel mitspielt und zurücklächelt, »daß die Saris Ihnen sehr gut stehen werden: sie sind sexy und vornehm zugleich.« Mrs. Banister bedient sich ihrer Ironie in zweifacher Absicht: um ihre Freundin lächerlich zu machen und um Manzoni die Vorstellung von ihrem in indische Seide gehüllten schönen Körper einer reifenden Frau aufzuzwingen.
Mrs. Boyd wirft ihr einen spitzen Blick zu und hört auf zu weinen, ihr rundes Gesichtchen wird hart.
»Ich nehme an, ein Sari wird Ihnen vor allem in dem Moment nützlich sein, da Sie sich seiner entledigen«, sagt sie boshaft.
Gar nicht so dumm, diese Mrs. Boyd, und bei passender Gelegenheit imstande, trotz ihrer Apathie den Tomahawk zu schwingen. Ich rechne damit, daß Mrs. Banister ihr eine gehörige Abfuhr erteilen wird, aber keineswegs, sie schweigt: entweder hat sie ihre Gründe, mit Mrs. Boyd schonend zu verfahren, oder sie zieht es vor, ihren eigenen Skalp für die Attacke auf Manzoni zu verwenden, dem sie unvermindert ihr einladendstes Lächeln schenkt – mit oder ohne Sari.
Bei den Franzosen ist der erschöpfte, leichenhafte Bouchoix nicht mehr im Rennen, und alles spielt sich zwischen Pacaud und Caramans ab, im typisch französischen Ton der
récrimination
, wütend bei Pacaud, gemäßigt bei Caramans. Im übrigen mit unterschiedlicher Zielrichtung. Caramans in seiner förmlichen, entschiedenen Art hält es für »unzulässig«, daß Air France, wenn sie die Einrichtungen ihres Flughafens einer Chartergesellschaft zur Verfügung stellt, nicht auch folgerichtig für die Sicherheit des Gepäcks aufkommt. Pacaud fällt mit rotem Schädel und hervorquellenden Augen über die Gepäckträger von Roissy-en-France her. Wahrscheinlich haben sie auf Weisung einer roten Gewerkschaft unter Mißachtung der elementaren Rechte der Reisenden einen ungesetzlichen Streik vom Zaun gebrochen. Pessimistisch, wie die Franzosen von einer bestimmten Einkommensstufe ab sind, schlußfolgert Pacaud, daß sich in Frankreich die »Canaille« austobt und daß es mit dem Land »abwärtsgeht«.
»Sie werden Ihre Koffer schon wiederbekommen!« sagt Blavatski herablassend angesichts der Erregung der Franzosen. »Oder Sie erhalten eine Entschädigung! Machen Sie sich also nicht soviel Kopfzerbrechen! Das ist doch alles nicht so wichtig!«
»Wichtig ist es als Symptom«, sagt Robbie. »Es fügt sich so gut zu dem übrigen.«
Blavatski wirft ihm einen durchdringenden Blick zu.
»Wollen Sie sagen, daß es Absicht ist?«
»Und ob!« antwortet Robbie. »Und ob es Absicht ist! DerVerlust unseres Gepäcks ist Bestandteil der Prüfung, der wir unterzogen werden.«
Blavatski zuckt die Achseln, und Caramans hält mißgestimmt dagegen: »Das ist reine Phantasterei. Ihre Hypothese kann sich auf keinerlei Beweis stützen.«
In diesem Moment steht die Murzec auf, durchquert steif den linken Halbkreis und flüstert der Stewardess etwas ins Ohr. Letztere wirkt erstaunt, überlegt und sagt schließlich zögernd: »Ja, aber unter der
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