Madrapour - Merle, R: Madrapour
Bedingung, daß Sie nichts anrühren.«
»Ich verspreche es«, sagt die Murzec.
Sie richtet sich auf und verschwindet hinter dem Vorhang zur Pantry.
»Wo geht sie denn hin?« frage ich verwundert.
»Sie hat mich gebeten, eine Weile im Cockpit allein sein zu dürfen.«
»Und Sie waren einverstanden!« ruft Blavatski mit funkelnden Augen.
»Gewiß doch. Was ist Schlimmes dabei?« fragt die Stewardess sanft. »Sie stört keinen.«
»Ich gehe zu ihr«, sagt Blavatski und hievt elastisch seinen schweren Körper aus dem Sessel.
»Nun lassen Sie doch Madame Murzec in Ruhe!« ruft Robbie mit unerwarteter Heftigkeit. »Sie hat genug gelitten! Sie sind unverbesserlich, Blavatski! Sie fallen in Ihre interventionistische Manie zurück! Immer spionieren Sie den Leuten nach, manipulieren sie, erheben Beschuldigungen oder üben Druck aus! Lassen Sie uns doch ein für allemal in Frieden!«
Allseits beifälliges Murmeln, und Blavatski, den Biedermann spielend, sagt katzenfreundlich: »Ich will sie ja nicht stören. Ich will nur sehen, was sie anstellt. Schließlich steht unsere Sicherheit auf dem Spiel.«
Leise verschwindet er auf seinen dicken Kreppsohlen hinter dem Vorhang.
Als er wenige Sekunden später zurückkommt, setzt er sich mit undurchdringlicher Miene auf seinen Platz, faltet die Hände und schließt die Augen, als wollte er schlafen. Für jemand, der seinesgleichen gerne anrät, »sich wie erwachsene Menschen zu benehmen«, finde ich dieses Theater ziemlich kindisch. Damit soll unsere Mißbilligung bestraft und unsere Neugierde geweckt werden. Aber Blavatski erlebt eine Enttäuschung. Dennniemand stellt ihm eine Frage. Und wenig später packt unser Bulle unaufgefordert aus.
»Ich bin jetzt beruhigt«, sagt er und läßt seinen Blick voller Ironie über uns schweifen. »Was sie da tut, ist harmlos. Madame Murzec kniet im Cockpit auf dem Boden und hält die Augen auf die kleine rote Lampe des Instrumentenbretts gerichtet …«
Er unterbricht sich, als hätte er schon zuviel gesagt, und Caramans fragt ungeduldig: »Und was macht sie?«
»Sie betet.«
»Ach so«, sagt Caramans, und die beiden Männer tauschen befriedigte Blicke.
Kein Zweifel: wenn die Murzec von einem mystischen Wahn befallen ist, wird die Schilderung, die sie von ihrem kurzen Aufenthalt auf dem Boden gegeben hat, suspekt.
»Betet sie leise oder laut?« fragt Robbie erwartungsvoll.
Blavatski sieht ihn mit stählernem Blick unfreundlich an: Dieser kleine Schwule erlaubt sich, ihm Fragen zu stellen, nachdem er sich erdreistet hatte, ihn anzuschnauzen. Blavatski antwortet trotzdem: das beinahe krankhafte Bedürfnis, sich mitzuteilen, siegt über seinen Ärger.
»Mit lauter Stimme«, sagt er, und seine Augen funkeln. »Nicht etwa gestottert. Im Gegenteil. Mit sorgfältiger Betonung und sehr deutlich.«
Er amüsiert sich sichtlich darüber, aber Robbie lächelt nicht.
»Was sind das für Gebete?« fragt er.
»Na, das Übliche.« Blavatski macht eine verächtliche Handbewegung. Und da Madame Murzec Französin ist, fährt er auf französisch fort: »Vater unser, der Du bist im Himmel, und so weiter.«
»Ach«, sagt Robbie, »sie hätte lieber beten sollen: Vater unser, der Du bist auf dem BODEN …«
Ich bin darauf gefaßt, daß er dieser Bemerkung sein gewohntes schrilles, unbeherrschtes Lachen folgen läßt. Aber nichts dergleichen. Sein Gesicht bleibt ernst und nachdenklich. Und da die Religion tabu ist, hat niemand Lust, zu diesem Thema noch etwas zu sagen. Der Kreis zieht sich ins Schweigen zurück.
Mir fallen die Augen zu. Ohne irgendwo Schmerzen zuspüren und ohne das geringste Symptom einer Krankheit, fühle ich mich so schwach, als hätte man mir die Hälfte meines Blutes abgenommen. Ich weiß auch, daß ich kein Fieber habe, und doch fiebert mein Hirn, bei aller Klarheit. Ununterbrochen geht mir Robbies Satz durch den Kopf: Vater unser, der Du bist auf dem BODEN. Nein, das ist kein Scherz. Ich spüre die Unruhe unter den hingeworfenen Worten.
Seit dem Augenblick, da der BODEN die Maschine hat landen lassen, zwingt sich mir eine Erkenntnis auf: alles, was wir sagen und tun, ist ihm sofort bekannt. Wie, über welche Mikrophone oder Abhörgeräte, ist unwichtig. Aber der BODEN weiß über alles Bescheid, über unsere Worte, unser Tun, unsere Gebärden, vielleicht sogar über unsere Gedanken. Er nimmt in unserem Flugzeug nach Madrapour (und er allein weiß, wohin wir wirklich fliegen) den Platz eines unsichtbaren, allwissenden
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