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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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vorbei-schritten, sah er, daß sie Totenschädel als Köpfe hatten. Siehe da, sagte er sich, die werden doch wohl aus dem Totenreich sein. Und als dann die Kutsche unten anfuhr, rannte er schnell die Treppenstufen hinunter und sprang hinten auf. Das war eine Fahrt, als gelte es ein Wettrennen mit dem Wind, und Madru wurde ganz leicht ums Herz. Er sah sich schon am Ziel. Während die Rappen, die die Kutsche zogen, losgaloppierten, hielt er sich nur mit einer Hand fest und ließ den Daumen der anderen Hand über sein Bilderspiel schnurren. Da fiel eine Karte heraus. Sie blieb auf dem Straßenpflaster liegen, und wenn sich auch die Kutsche blitzschnell entfernte, so konnte er doch erkennen, welche es gewesen war, nämliche die Karte XV des Bilderspiels: DIE EBERESCHE.
    Nun weiß man ja, wie lieb und wert Madru sein Bilderspiel war, und er fand, er könnte die Karte unmöglich dort im Staub liegen lassen. Also sprang er von der Kutsche ab, ging ein Stück des Weges zurück und dachte dabei mißmutig: Wer weiß, wie weit ich immer noch von meinem Ziel entfernt bin. Vielleicht ist es doch unmöglich für einen, der noch lebt, ins Totenreich zu gelangen. Alle haben mir das gesagt, aber ich habe es nicht glauben wollen. Endlich war er an die Stelle gekommen, an der die Karte auf dem Straßenpflaster lag. Er hob sie auf und steckte sie in das Spiel zurück. Da war es ihm, als höre er ganz in der Nähe einen Brunnen rauschen. Er wich von der Straße ab, um ihn zu suchen, denn er war sehr durstig geworden. Das Wasser sprudelte an einem Hang zwischen mit Moos überwucherten Steinen und schwefelgelbem Kies hervor. Er kniete sich hin und trank, bis sein Durst gestillt war, und als es ihm gerade durch den Sinn ging, daß es doch kaum etwas Köstlicheres gäbe gegen Durst als eiskaltes Quellwasser, sah er eine Eberesche, die Früchte trug und zwischen den grünen Blättern und den roten Beeren blinzelte ein Tier von erschrekkender Häßlichkeit. Es hatte den Kopf einer Eidechse, den Schnabel eines Raubvogels und große Fledermausflügel.
    »Manchmal ist rückwärts besser als voran«, sagte das Tier mit einer hohen keckernden Stimme.
    »Wer bist du?« fragte Madru und blinzelte.
    »Ich heiße so wie ich aussehe - Widerling«, sagte der kleine Dämon, »und von mir hörst du nur dreierlei. Auf geradem Weg kommst du nie zum Ziel.«
    »Und was ist der dritte Satz?« fragte Madru.
    »Der dritte Satz«, sagte der Widerling, »lautet: Der Stamm ist die Tür und zurück geht es wie durch die Nacht. «
    »So ein Blödsinn«, sagte Madru. »Was soll ich damit anfangen?« Er machte ein verdrießliches Gesicht. Der Widerling war verschwunden. Madru stand da, um sich surrende Mittagshitze. »Der Stamm ist die Tür«, murmelte er, »und zurück geht es wie durch die Nacht.« Ein merkwürdiger Satz, aber er blieb ihm i In Ohr. In der Eberesche fand er keine Tür. Und dann fiel ihm jener Satz ein, den der Widerling zu allererst gesagt hatte: »Manchmal ist rückwärts besser als voran.«
    Also ging er zur Straße zurück. Nach einer Weile erreichte er eine Wegkreuzung. Der erste Weg lief geradeaus, der zweite hatte Kurven und Ecken.
    »Den zweiten muß ich gehen«, sagte Madru zu sich selbst, »Verzeihung, wenn ich so schlecht von dir gedacht habe, Widerling.« Der Weg führte über Berg und Tal, durch Sumpf und Morast, über Stock und Stein. Madru folgte ihm einen Tag und durchmaß all seine Kurven und Winkel. Am Ende des Tages aber, als die Sonne unterging, sah er vor sich eine große Mauer. Sie lag gegen Norden und er war sich ganz sicher, daß das die Mauer sein mußte, die die Anderswelt vom Totenreich trennt.
    Es gab kein Tor und keinen Spalt, nicht einmal ein Mäuseloch im Boden, und von einem Baum, in dem eine Tür hätte sein können, war auch nichts zu sehen, und wenn man vor der Mauer stand, so meinte man, sie reiche bis über die Wolken an die Sterne.
    Madru ging an der Mauer entlang und überlegte: Soll ich jetzt umkehren? Nein, erst einmal will ich schlafen. Wenn Bru mich als Träumer gebraucht hat, bin ich vielleicht kein so schlechter Träumer, und vielleicht fällt es mir im Traum ein, wie ich doch noch ins Totenreich gelange. Er streckte sich also auf der Erde aus und schob eine Hand als Kissen unter die Wange. Im Traum, der ja ein Traum im Traum war, wenn man die Dinge genau nimmt, hörte er zuerst ein klatschendes Geräusch, dann Flügelschlag und endlich ein Rascheln.
    »Er hat uns längst vergessen«, sagte die Kröte, als

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