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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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Färila gekommen, wo sich Leute fanden, die den Vater gekannt hatten und der »Sache« noch treu ergeben waren. Beide waren sie ausgesprochen bildungswütig und hatten viel gelesen. Björn, jähzornig, rasch bereit, zum Messer zu greifen, hatte es immerhin zwei Jahre in einer Druckerlehre ausgehalten. Gerade so lange, bis er soviel von diesem Handwerk verstand, wie zur Herstellung von Fliegenden Blättern und primitiven Zeitungen nötig ist.
    Danach bezog er zusammen mit seiner Halbschwester einen Schuppen am Ortsrand von Färila, den sie zugleich auch als Werkstatt benutzten. Eine alte Maschine zum Drucken fanden sie vor, aber keine Lettern für den Satz der Texte. Um die Lettern einer geeigneten Schriftart bezahlen zu können, verdingte sich Björn bei einer kleinen Akzidenzdruckerei, in der er ein Dreivierteljahr blieb. Das Gerücht verbreitete sich, in dieser Zeit habe er nicht etwa das Geld erspart, um die Lettern zu kaufen , sondern diese langsam aber sicher seinem Arbeitgeber entwendet. Wenn er nüchtern war, widersprach Björn diesem Gerücht auf das Entschiedenste, nur um es in trunkenem Zustand prahlerisch lachend zu bestätigen. Was immer die Wahrheit sein mochte: die Rote Jule und Björn brachten von nun an in unregelmäßigen Abständen ein kurioses Blättchen heraus, das sie »Aurora« nannten. Es enthielt Balladen, Klatsch, jeweils eine Belehrung über die wahren Ziele des Sozialismus (die die Rote Jule verfaßte) und bissige Kommentare zu den Ereignissen in den Sägewerken und Holzfällerlagern.
    War wieder einmal eine Nummer fertig, so zog Jule landauf, landab, um sie an die Frau oder an den Mann zu bringen. Auf einer ihrer Verkaufswanderungen nun klopfte sie auch bei dem neuen Herrn auf Ängratörn an. Sie kamen miteinander ins Gespräch, redeten über Bäume. Schließlich las Madru ihr eigene Gedichte vor, Sonette auf zweiundzwanzig Bäume und Sträucher, von denen sie sich sofort einige zum Abdruck in der »Aurora« erbat. Sie ihrerseits predigte ihm Marxismus, den sie ihm als eine Wissenschaft darstellte, mit deren Hilfe das Glück aller durch die Diktatur des Proletariats herbeigeführt werden könne. Ihr Gesellschaftsideal umschrieb sie mit einem Satz aus dem Kommunistischen Manifest: »Eine Assoziation, bei der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entfaltung aller« ist.
    Als Madru sie fragte, was in dieser von ihr so häufig zitierten Schrift über Bäume gesagt werde, schüttelte sie aufgebracht den Kopf und sagte, mit einer Geduld, die Madru erstaunlich fand: »Fangen wir noch einmal von vorn an.«
    Madru hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Zeile von Karl Marx gelesen. Er wußte nicht, worum in der Großen Französischen Revolution gestritten worden war, und die Präambel zur »Declaration of Independence«, die ihm Jule mit leuchtenden Augen zitierte, kannte er ebensowenig.
    »Wir halten diese Wahrheiten für selbsteinsichtig«... Sie war eben dabei ihm zu erklären, was unter Mehrwert im einzelnen zu verstehen sei, als drei berittene Gendarmen vom Wald her sich seinem Haus näherten.
    Sie sprangen aus dem Sattel. Einer von ihnen hielt die Gäule. Die beiden anderen begehrten Einlaß. Als Madru auf der Schwelle erschien, forderten sie ihn auf, eine Frauensperson, die unter dem Spitznamen »Rote Jule« bekannt sei und sich bei ihm versteckt halte, an sie auszuliefern. Sie drängten ins Haus. Madru stand breit und groß, mit in die Hüften gerammten Armen auf der Schwelle. Er verlangte einen Durchsuchungsbefehl zu sehen. Es stellte sich heraus, daß die Gendarmen ein solches Dokument nicht besaßen. Sie fragten daraufhin, ob Madru bestreiten wolle, daß er die Rote Jule versteckt halte.
    »Wieso versteckt halten?« sagte er. »Sie ist mein Gast. Bitte, was liegt gegen sie vor?«
    Die Gendarmen hielten ihm eine Anzeige wegen Landstreicherei unter die Nase.
    Das müsse wohl ein Irrtum oder eine Verwechslung sein, erklärte Madru. Wie denn von Landstreicherei die Rede sein könne, wo doch die junge Frau ständig bei ihm wohne?
    Die Gendarmen wechselten vielsagende Blicke. Madru holte einen aus Norge herübergeschmuggelten Aquavit und schenkte ihnen ein. Er wies sich als Eigentümer von Ängratörn aus, während sie tranken. Er schüttete nach, zeigte seine Steuerquittung und seine Wahlbescheinigung. Einer der Ordnungswächter erinnerte sich nun, ihn auf einem Tanzvergnügen spielen gehört zu haben. Beim dritten Aquavit war die Verbrüderung nahe. Danach ritten die

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