Madru
Ängratörn erwarb. Der Mann hieß Madru und war noch jung. Es gehörten aber zu diesem Besitz der See und aller Wald an dessen Ufer, drei Meilen nach Westen und vier Meilen nach Norden. Das war ein großes Anwesen. Jedenfalls war es weit mehr Wald, als die meisten Kleinbauern und Tagelöhner, die damals in der Gegend lebten, besaßen. Sie hatten oft nur drei oder vier Kühe im Stall. Wenn es ein schlechtes Jahr gewesen war, und vielleicht zu allem auch noch ein Esser mehr unter dem Dach, geschah es häufig, daß sie ein oder zwei Tiere verkaufen mußten. Das holte ein solcher Waldbauer kaum je wieder auf, und viele, denen das zustieß, wanderten aus nach Amerika.
Viele Männer arbeiteten in den Sägewerken in Ljusdal oder als Flößer und Holzfäller auf den großen Einschlägen weiter landeinwärts. Wenn in einer bestimmten Gegend Holz gefällt werden sollte, gab es immer einige Leute, die schnell bereit waren, ihr Land zu verkaufen. Die anderen wurden unter Druck gesetzt. Manchmal wechselten die Waldparzellen für drei Flaschen Branntwein den Besitzer. Trunksucht hätte niemand ein Laster nennen mögen. Es war eine Leidenschaft. An Holz war viel Geld zu verdienen in der Ferne. Damals kam das Wort »Fernwelt« auf.
Und der Große Wald schien endlos Holz herzugeben. Die Frauen blieben daheim. Sie versorgten die Kinder, sahen nach dem Vieh und kümmerten sich um das Heu, das bißchen Hafer, das mager wuchs. Sie gingen in die Betstunden der christlichen Sekten. Aber viele hingen auch noch dem alten Glauben an, gegen den die Prediger wetterten. Wer an Bru und Bri und die Möndin in ihrer dreifachen Gestalt glaubte, der fragte sich im stillen, ob es recht sei, daß der Große Wald abgeholzt wurde. Der Wald, so war überliefert, sei etwas Heiliges, sei eine Macht, eine Kraft. Jetzt wurde er geplündert und ausverkauft. Erst waren die Pelztiere gefangen und abgeschossen worden. Jetzt raubte man sein Holz.
Madru, der neue Herr auf Ängratörn, war ein guter Fiedler. Er spielte auf den Tanzvergnügen in Färila und in den Krügen an der Landstraße nach Norden. Er wanderte mit seiner Fiedel in den Süden zu Fuß bis Järvsö und kam im Osten an die Küste bis Glada Hudik. Das war eine Hafenstadt, in der sich Fabrikanten und Holzkaufleute am Kai prächtige, bunt bemalte Häuser erbaut hatten, die von ihrem Reichtum kündeten.
Es war ungewöhnlich, daß sich ein Mann mit Besitz unter die Fiedler mischte. Fiedler wurde einer, der gewöhnlich nicht mehr besaß als sein Instrument, einen Knappsack und einen wollenen Schlafsack. Darüber wurde von Anfang an gesprochen. Madrus Musik erschien den Leuten zärtlich, wild, einschmeichelnd wie die keines anderen Fiedlers damals. Es kam das Gerücht auf, dieser Madru besitze eine jener Fiedeln, die von einem Nöck besprochen worden sind. Die Melodien habe er womöglich in der Anderswelt gelernt. Vielleicht sei er selbst ein Troll oder ein Feen-mann.
Die Leute rätselten auch, wie so einer zu dem vielen Geld gekommen sein mochte, um Ängratörn zu erwerben. Da hatte er gewiß tief in die Tasche greifen müssen. Viel verdiente so ein Fiedler nicht, er mochte noch so gut spielen. Was man ihm zahlte, ging von der Hand in den Mund.
Ungewöhnlich gekleidet kam dieser Madru daher. Leute, die sich mit dererlei auskannten, erklärten, Hosen mit solchem Schnitt, wie er sie trage, spitze Schuhe mit Glöckchen daran und eine Kappe aus rotem Filz seien vor fünfhundert Jahren oder noch längerer Zeit in Norrland einmal Mode gewesen.
Am meisten Verwunderung aber erregte er mit seinen Reden. Er sprach offen und deutlich von der Macht der Bäume, sagte, so dürfe es nicht weitergehen. Der Große Wald sinke dahin. Man treibe nicht ungestraft so wütend Raubbau an der Natur. In dreißig, vierzig Jahren werde es in Norrland vielleicht schon keinen Großen Wald mehr geben. Sie sollten sich gefälligst einmal vorstellen, was das bedeute. Fortgewischt der Duft der Mammutbäume. Kein Grün mehr. Kein Meer von Zweigen, die sich wie Wellen bewegen. Eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes sagte er ihnen voraus. In einer Welt ohne Bäume würden die Menschen ersticken müssen. Sie würden keine Luft mehr zum Atmen haben. Heute noch unbekannte Seuchen würden sich ausbreiten. Sie alle würden dann eines qualvollen Todes sterben. Sie ließen ihn reden. Manche nickten. Die meisten hielten ihn für einen komischen Heiligen. Wegen seiner Reden wurde auch nicht ein Klafter Holz weniger eingeschlagen. Warum
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