Madru
den Weg des Waldes gewählt hatten, zeitig auszogen, um aus Reisig Feuerräder zu flechten, die über einen Abhang neben der Rennstrecke zu Tal gerollt wurden, sobald es anfing, dunkel zu werden. Die großen Räder aus dürren Tannenzweigen wurden mit Strohseilen umschnürt und mit Pech getränkt und sollten an die Macht der wiederkehrenden Sonne erinnern.
Als an diesem Vormittag die Scholaren an der Arbeit waren, ging ihnen ihr Vorrat an Strohseilen aus. Jemand mußte zurück in die Fürstensiedlung. Es war Madru, der als erster eine Hand frei hatte, und so schickte man ihn. Er hatte schon den Fuß des Hügels erreicht und ging durch den verschneiten Talgrund, als sich zwischen den Stämmen eines Birkenwäldchens zwei Gestalten lösten und rasch auf ihn zukamen. Madru griff nach seinem Messer … er hatte es liegen gelassen. Madru überlegte, wie er ihnen ausweichen könne. Zu seiner Rechten lag der Bannwald, der sich wie eine feste Mauer ausnahm, nach links wäre er in einen Sumpf geraten. Dann eben geradeaus, sagte er zu sich selbst.
Als die Männer näher herangekommen waren, erkannte er in dem einen seinen Doppelgänger und gab sich verloren. Er griff in die Hosentasche, suchte nach der Wolfspfote und fuhr dreimal mit dem Daumen über die Krallen. Viel Hoffnung hatte er nicht, daß ihm das helfen werde. Weit und breit war kein Wolf zu sehen. Die Männer waren jetzt ganz nahe. Das Grausige war, daß der andere sein Gesicht hatte. Das lähmte Madru fast. Der Doppelgänger blieb stehen und schickte den anderen vor. Der Mann hatte einen schmalen Dolch in der Hand und kam lauernd auf ihn zu. Mit einer plötzlichen Sprungbewegung, bei der er mit angezogenen Knien den Mann gegen die Brust trat, wehrte Madru den ersten Angriff ab. Er sah, wie der Doppelgänger sich langsam in seinen Rücken schlich und ein langes Bronzemesser mit beiden Händen hielt.
Der am Boden liegende Mann sah verdutzt zu Madru auf. Dann besann er sich auf sein Messer und warf es. Es fuhr Madru in den linken Arm und blieb dort stecken. Er riß es heraus und wandte sich mit einer raschen Drehung dem Doppelgänger zu. Sie sprangen einander an. Ihre Messer schabten mit ihren Schnittflächen aneinander, was einen schaurigen Laut gab.
Der Doppelgänger ließ seinen Oberkörper zur Seite pendeln. Ich kann ihn nicht töten, dachte Madru, ich töte mich. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Das war das Ende. Der Doppelgänger holte zum Stoß aus.
Plötzlich schnellte etwas durch die Luft, vor ihm, hinter ihm. Überall Felle. Krallen. Zähne. Die Wölfe. Eines der Tiere hatte den Doppelgänger seitwärts angesprungen. Dieser mußte über große Körperkräfte verfügen. Es gelang ihm, es abzuschütteln. Hinter sich hörte Madru einen Schrei, der ihm durch Mark und Bein fuhr. Er stand unter Wölfen. Sie fiepten und jaulten. Zwei der Tiere setzten dem Doppelgänger nach, der auf das Birkenwäldchen zu rannte.
Madru sah sich nach dem zweiten Mann um. Er lag mit dem Gesicht nach unten. Neben seinem Kinn sickerte Blut hervor und färbte den Schnee schwarz. Er ging hin, beugte sich herab und drehte den Körper auf die Seite. Erschreckt fuhr er sofort zurück. Die eine Gesichtshälfte des Toten war nur noch blutiges, zerfetztes Fleisch.
Vier, fünf Tiere rieben ihre Schnauzen an seinem Bein, als wollten sie ihn auf etwas aufmerksam machen. Darunter waren auch die Tiere, die den Doppelgänger zum Birkenwäldchen gejagt hatten. Er sah dort hinüber. Einer der Bäume brach, schlug mit einem dumpfen Geräusch zu Boden und begrub den Mann, den der Stamm getroffen hatte, unter sich. Madru blickte wieder auf den Toten vor sich.
»Der andere ist auch tot«, sagte einer der Wölfe.
»Kanaille. Gierig nach Gold«, sagte ein anderer.
ELFTES KAPITEL
Die Reise in die Stadt am Meer, eine Liebesfalle, ein Wort unter Wölfen und die Lichternacht
Nach dem Fest der Wintersonne, in der Zeit der wilden Nächte, der zeitlosen Zeit zwischen dem alten und dem neuen Jahr, brach der Fürst des Waldes mit kleinem Gefolge nach Österstrand, der Stadt am Meer auf. Zum Schutz des Hafens lagen in Österstrand fünf Fähnlein Miliz. Wer für die Löhnung aufzukommen habe, war zwischen den Kaufleuten und dem Fürsten strittig. Es gelte, so hieß es, die Kaufmannschaft günstig zu stimmen, sie fester an den Fürstenhof zu binden. Der Hafen war einer der strategischen Punkte, an denen Norrland leicht verwundbar blieb. Man sprach von der Anschaffung einer gewaltigen Eisenkette,
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