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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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Fallenstellen und Sammeln bestimmter Wildkräuter sich selbst zu ernähren.
    An der Außenwand der Hütte hatte er eine Schiefertafel aufgehängt, die er bei seinen Streifzügen um den Ängratörn gefunden hatte. Auf dieser Platte standen schon dreiundsechzig Striche. Madru war bei guter Laune. Die Einsamkeit machte ihm nicht mehr zu schaffen, und er fand nun, jedem Menschen, der nicht eine Zeitlang allein in der Wildnis gelebt hatte, sei eine entscheidende Erfahrung entgangen.
    Er hatte an jenem Morgen einen guten Fang gemacht und war auf dem Weg vom Strand hinauf zu seiner Hütte, um sich den großen Fisch, dessen Bauch weiß und rötlich schimmerte, gleich zu braten. Da sah er plötzlich einen fremden Mann vor sich. Wenn er sich zuvor manchmal sehnlichst einen Gesprächspartner Ißt wünscht hatte, so versetzte ihn nun die plötzliche Anwesen] n eines Menschen in einen Zustand von gereizter Ablehnung, den er nur mühsam verbergen konnte.
    Vielleicht war auch das seltsame Aussehen des Fremden daran schuld. Er war von Kopf bis Fuß in braunes Leder gekleidet, trug Halbstiefel, wie sie Madru in Norrland noch nie gesehen hatte, einen Lederanzug und eine Lederkappe mit einem Riemen unter dem Kinn, so daß sie am Kopf überall fest anlag und nur das Gesicht freiblieb. Es schien, als sei das viele Leder, das er auf dem Leib hatte, zu einer Art zweiter Haut geworden, und vielleicht bestand ja der ganze Kerl überhaupt nur aus Leder.
    Er verbeugte sich knapp vor Madru, zog aus dem Schaft seines Stiefels ein gefaltetes und versiegeltes Blatt Papier und reichte es ihm.
    »Wer seid Ihr?« fragte Madru.
    Der Ledermann schüttelte den Kopf.
    »Wo kommt Ihr her? So redet doch!«
    Der Mann deutete in die Baumkronen. Madru begriff, daß er offenbar stumm war.
    »Sollt Ihr eine Antwort abwarten?«
    Der Bote schüttelte heftig mit dem Kopf.
    »Aber Ihr werdet hungrig sein. Setzt Euch einen Augenblick. Ich bin gerade dabei, einen Fisch zu braten. Es ist genug für zwei dran. «
    Der Bote machte eine lächerliche Bewegung. Er riß die angezogenen Beine fast bis ans Kinn hoch, machte dann eine abrupte Kehrtwendung und rannte in Richtung des Baumes mit den Trittästen davon.
    Madru schüttelte verwirrt den Kopf und besah skeptisch das Papier, das ihm der Bote übergeben hatte. Es war nicht üblich in Norrland, Briefe zu schreiben. Nachrichten ließ man gewöhnlich mündlich ausrichten. Papier, das man über Österstrand aus der Fernwelt bezog, war etwas, worauf man Skaldenlieder, Gesetze oder wichtige Verträge schrieb, nicht Botschaften an junge Männer in der Waldeinsamkeit.
    Madru sah auf das Siegel. Es war das Siegel des Fürsten. Er erbrach es und las:
    Mein Herr!
    Wenn Ihr wissen wollt, mit wem die Frau, die Ihr liebt, Euch schamlos betrügt, so kommt umgehend in die Fürstensiedlung. Nehmt den Weg in der Höhe. An seinem Ende werdet Ihr erwartet.
    Einer, der es gut mit Euch meint.
    Der Brief war in der Frühlingsprache der Anderswelt abgefaßt. Madrus erste Reaktion war ein Wutanfall. Er knüllte das Blatt zusammen und wollte es ins Feuer werfen, das brannte, um den Fisch zu braten. Dann kam ihm ein Einfall. Der Bote konnte noch nicht weit gekommen sein. Er brauchte ihm nur nachzugehen, ohne daß der andere etwas davon merkte, und dieser Ledermensch würde ihn zu dem Schandkerl führen, der das geschrieben hatte. Er sprang auf und erschrak gleich noch einmal.
    Vor ihm stand ein kleiner Mann, der ihm bis an die Knie reichte. Er trug eine rote Zipfelmütze, wie man das von Zwergen erwartet, eine grüne Jacke und Bundhosen aus Hirschleder. Sein Gesicht wirkte uralt. Er stand leicht vornübergebeugt da und stützte sich auf eine Krücke mit einem Griff aus Silber, der die Form eines Elfenwesens hatte, das wie eine große schlanke Libelle mit ausgebreiteten Flügeln aussah.
    »Immer langsam«, sagte der Zwerg, »da haben wir denn doch auch noch ein Wörtchen mitzureden, wenn man sich unserer Sprache bedient.«
    »Wer seid ihr?«
    »Lassen wir das zunächst einmal auf sich beruhen … verschieben wir die Vorstellung auf später. Erlaubt, daß ich Euch erst einmal eine Frage stelle. Habt Ihr den leisesten Zweifel an der Treue der Frau, die Ihr liebt? Aber seid ehrlich.«
    »Nein«, sagte Madru entschieden.
    »Ihr seid noch jung und recht verliebt«, stellte der Zwerg fest. »Wohl wahr.«
    »Nun … dann wäre soviel doch klar: Es handelt sich um eine Verleumdung, um eine Lüge.«
    Madru nickte.
    »Um eine ziemlich plumpe Lüge«, sagte

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