Madru
Bator immer noch nicht zurück sei, der Erzdruide aber und die Fürstin wären in einem Schlitten zum Paß in den Gebirgen im Westen aufgebrochen. Der Hauptmann der Miliz fragte, ob er ihnen nachsetzen solle. Madru merkte, daß man von ihm Befehle erwartete.
»Laßt sie laufen. Sie werden sich aus ihren Lügen selbst noch den Strick drehen«, sagte er.
An diesem Abend klopfte es an das Fenster seiner Zelle. Draußen stand Mola mit einem Licht in der Hand. Madru ging hinaus. Er wußte, was das zu bedeuten hatte. Er spürte, wie die Lust ihn überkam. »Paß auf«, sagte er etwas verlegen zu Mola, »daß der Wind dir dein Licht nicht ausbläst.«
»Es geht kein Wind heute Nacht. Es ist still. Nur die Sterne singen. Komm mit mir.«
Später betraten sie einen großen Raum in einem Haus. Im Kamin loderte helles Feuer. Die Alte hatte auf der Schwelle kehrtgemacht. Sie war wieder in der Nacht verschwunden.
In der Ecke neben dem Kamin war ein breites, bequemes Lager aus Schaffellen gerichtet. Auf dem Fußboden standen viele brennende Kerzen, die einen leisen, summenden Laut von sich gaben. Das Mädchen saß nackt mit angezogenen Beinen unter den vielen Lichtern.
Sie sagte: »Alissa hat dich zum dritten Mal gewählt.«
Ohne Hast kleidete er sich aus, hob sie auf und trug sie zu dem Lager.
ZWÖLFTES KAPITEL
Die Zeit in der Wildnis
Der Ledermann - Es stellt sich heraus, daß es doch Zwerge gibt.
Unbekümmert lebten seit jener Nacht Madru und Alissa als Mann und Frau und freuten sich ihrer Liebe. Der Fürst, als er endlich von der Bärenhatz heimgekehrt war, schien angesichts der Ereignisse, die sich in seiner Abwesenheit abgespielt hatten, geradezu erleichtert. Er weinte seiner Frau keine Träne nach, und was Guhs Flucht betraf, so äußerte er zu Madru, sie enthebe ihn der unerfreulichen Pflicht, Guh als Hochverräter anklagen und hinrichten lassen zu müssen.
Ein neuer Erzdruide wurde gewählt, der Abt der Akademie, ein stiller Gelehrter, der sich mehr für die Etymologie der Sommer- und Wintersprache interessierte als für Politik und Kabale bei Hofe.
Bator verheiratete seine beiden ältesten Töchter: die eine an einen Kaufmann in Österstrand – vielleicht, damit der Traum der Kaufmannschaft von einer Verbindung mit dem Fürstenhaus doch noch wahr werde und auf diese Weise die Kette vor dem Hafenbecken im Notfall besser halte –, die andere an einen Gouverneur im hohen Norden, was, wie spitze Zungen behaupteten, einer lebenslänglichen Verbannung gleichkam. Als die Kinder aus dem Haus waren, nahm Bator eine Mätresse, die fünfzehn Jahre jünger war als er.
Einer Heirat zwischen Madru und Alissa verweigerte der Fürst weiterhin seine Zustimmung. Aber er zeigte sich stolz und gerührt, als Madru ihn wissen ließ, daß Alissa schwanger sei und sie beschlossen hätten, mit dem Kind auf dem Arm Hochzeit zu halten. Es gab nämlich in Norrland eine Sitte, so alt wie die dreifache Wahl des Mannes durch die Frau: Einem Paar gegenüber, das mit seinem Kind auf dem Arm in der Großen Halle erschien und angesichts der Großen Pappel und der Großen Erle erklärte, es wolle als Familie zusammenleben, war jeder sonst gültige Hinderungsgrund für eine Eheschließung null und nichtig.
»Nun gut«, sagte Bator, als er hörte, daß ihn seine jüngste Tochter zum Großvater machen werde, »dann wollen wir zum nächsten Fest der Wintersonne Hochzeit und Kindtaufe feiern und der Sternensohn wird an eben diesem Tag Fürst des Großen Waldes.« Madru hatte seine Studienzeit als Scholar im Haus der Lehren abgeschlossen. Bald würde er in die Wildnis ziehen. Die »Zeit in der Einsamkeit« war in Norrland für einen jungen Mann aus dem Stand der Vornehmen die Schwelle zwischen Jugend und Erwachsenendasein. Bevor ein junger Mann seinen Beruf auszuüben begann und eine Familie gründete, sollte er in dieser Zeit Gelegenheit haben, noch einmal über sich selbst nachzudenken. Er sollte schweigen und fasten. Er sollte sein Bilderspiel daheim lassen. Er sollte sich ohne alle Ablenkung prüfen, ob er, nur auf sich selbst gestellt, leben, allein überleben konnte. Als sichtbares Zeichen dafür, daß er sich in der Wildnis behauptet und bewährt hatte, brachte er aus der »Zeit in der Einsamkeit« eine Steinaxt mit heim.
Freilich gab es in Norrland längst Streit- und Werkzeugäxte aus Bronze, die von bestimmten Handwerkern angefertigt wurden, und somit war die Herstellung der Steinaxt ein Vorgang von symbolischer Bedeutung. Er
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