Madru
zeigte eben an, daß man erwachsen war, Frau und Kinder durch seiner eigenen Hände Arbeit ernähren und erhalten konnte. In fast jedem Haushalt in Norrland konnte man in den Fluren und Dielen solche Äxte hängen sehen, und wenn die Rede auf sie kam, wurden abenteuerliche Geschichten über ihre Entstehung und den, der sie in jüngeren Jahren angefertigt hatte, erzählt.
War die Steinaxt fertig, so mußte man, der Sitte entsprechend, in der Wildnis nach einem Baum Aushorch halten, der danach rief, gefällt zu werden. »Aushorch« war in diesem Zusammenhang durchaus das passende Wort, denn angeblich riefen solche Bäume den, der sie fällen sollte, herbei. Und keiner vergaß, ein paar von den Holzsplittern, die dabei anfielen, aufzuheben, denn galten als Glücksbringer.
Das Kind, das in Alissa wuchs, hatte sich schon bewegt, als Madru seinen Aufbruch in die Wildnis vorbereitete. Alissa hatte in letzter Zeit viele schlechte Träume gehabt. Sie erzählte auch, sie habe Beunruhigendes von den Tieren gehört, aber als Madru sie bat, ihm Genaueres darüber zu erzählen, schüttelte sie den Kopf und sagte, sie wolle nicht, daß er in die Zeit der Einsamkeit kummervolle Gedanken mitnähme.
In diesen Tagen, bevor Madru in die Wildnis ging, verbrachten Alissa und er viele Stunden mit Gesprächen und Zärtlichkeiten, Das war an sich nichts Außergewöhnliches. Alle Liebespaare in Norrland hielten es so, und die Älteren behandelten die jungen Leute mit Nachsicht.
»Ach«, sagte man, wenn einer der beiden darüber seine Arbeit vernachlässigte, »laß sie doch. Der Junge geht in die Wildnis.« Madru aber gab sich der Täuschung aller Verliebten hin, daß sich nie ein junger Mann und eine junge Frau inniger geliebt hätten als er und Alissa. Er empfand Furcht vor der Einsamkeit, hielt es aber für unmännlich, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. In dieser Beziehung glich er ebenfalls vielen anderen jungen Männern, die bezweifelten, daß sie der bevorstehenden harten Bewährungsprobe gewachsen sein würden.
Dann war der Tag da, an dem Madru aufbrechen sollte. Die meisten Mädchen und jungen Frauen begleiteten ihre Männer noch ein Stück über die Wiesen bis an den Rand des Bannwaldes. Madru aber bat Alissa, nicht mitzukommen. Es schien ihm leichter, in dem schönen Haus Abschied zu nehmen, das sie sich von ihrem Muttererbe gekauft hatte und in dem sie nach seiner Rückkehr zu leben gedachten.
»Versprich mir«, sagte sie zu Madru, »dir um mich keine Sorgen zu machen. Meiner Liebe kannst du gewiß sein, was immer auch geschehen könnte. Mola ist bei mir. Was sind drei Monate? Danach bleibt uns die Zeit eines ganzen Lebens.«
Jeder junge Mann, der in die Wildnis zog, hatte einen alten erfahrenen Mann als Paten, der ihn hinbrachte, darauf sah, daß er mit dem Nötigsten versorgt war, aber auch nicht mit mehr, und später holte ihn eben dieser Mann auch wieder heim. Madrus Pate war Ase. Er brachte ihn zu dem Platz, der Ängratörn hieß.
Sie nahmen diesmal nicht den Pfad über die Baumkronen, sondern bahnten sich auf dem Boden des Bannwaldes ihren Weg. Das war ein mühsames und anstrengendes Unterfangen, bei dem man sich leicht verirren und umkommen konnte. Während über der Fürstensiedlung und in den Wiesen das heiterstimmende Licht eines Sommertages lag, herrschte in dem Eichenwald, durch den sie gingen, ein von Modergruch durchwehtes Halbdunkel, das alpdruckhaft auf die Brust legte. Über hingestürzte alte Bäume mußten sie steigen, in diesem Eichendickicht, unter das sich Eisbeerbüsche, Speierling und Wildbirnen mischten, und über dem sich noch ein Hochwald aus Fichten erhob.
Obwohl Madru in den zurückliegenden Monaten manches über Alten Wald, die Bäume und deren Bewohner, gelernt hatte, wurde ihm rasch klar, daß er ohne Ases große Erfahrung hier hoffnungslos verloren gewesen wäre. Das Gigantisch-Labyrinthische des Bannwaldes, die Kraft, die er in sich einschloß und die er ausstrahlte, wurden ihm auf diesem Weg erst recht bewußt. Es war ihm, als sei dieser Wald ein einziges Wesen, mit tausenden Köpfen, Händen und Füßen. Schließlich, erst unmittelbar bevor sie Ängratörn erreichten, ging der düster-unheimliche Eichenwald in ein Erlengehölz über. Sie näherten sich der Lichtung am See von einer anderen Seite als damals, da sie vom Wipfelpfad abgestiegen waren. Hier wuchsen entlang eines Baches, der in den See mündete, neben hochstämmigen Erlen auch Moosbirke und Faulbaum, mannshohes
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