Mächtig gewaltig, Egon - Jensen, J: Mächtig gewaltig, Egon
befürchtete einen Herzinfarkt, lief vor den Vorhang und fragte, ob ein Arzt unter den Zuschauern wäre. Es war einer da, auch noch ein Familienmitglied. Der Schwiegervater von Oves Sohn Sven veranlasste sofort die Bestellung eines Taxis, ein Krankenwagen wäre zu langsam gewesen. Sprogøe landete im Krankenhaus, wo man ihm einen Nierenstein von der Größe einer Haselnuss entfernte. So viel gehörte dazu, damit er sich ins Bett legte – doch nur vier Vorstellungen lang. Er musste schnell auf die Bühne zurück, denn das kleine Bristol-Theater konnte sich eine Krankenversicherung für seine Schauspieler nicht leisten.
Der Intendant Morten Grunwald wusste, was er an seinem Freund Ove Sprogøe hatte. Der künstlerische Leiter war froh über ein talentiertes Arbeitstier, doch der Direktor, der den Betrieb am Laufen zu halten hatte, spekulierte auch auf die Anziehungskraft von Dänemarks Liebling Egon Olsen. Vor diesem Hintergrund und mit seiner grenzenlosen Liebe zu Samuel Beckett hatte Grunwald 1975 eine kühne Idee. Warum sollte nicht die gesamte Olsenbande, also er selbst, Poul Bundgaard und Ove Sprogøe, die drei Hauptrollen in »Warten auf Godot« spielen?
Nach einer Aufführung des Stückes im Fernsehen Mitte der sechziger Jahre war der Satz »Wir warten auf Godot« zu einem geflügelten Wort in der Bevölkerung geworden, als Synonym für sterbenslangweilig. Das sollte sich mit der Olsenbande ändern.
Zur Vorbereitung fuhren die drei Schauspieler nach Deutschland, um sich eine Inszenierung des Stückes anzusehen, und fingen alle Feuer. Grunwald spielte Vladimir, Didi genannt, Ove spielte Estragon, und Poul Bundgaard war Pozzo. Auch Bundgaards Sohn wirkte mit. Er war der Junge, der im Verlauf des Stückes herauskommt und sagt: »Ich soll von Godot grüßen und sagen, dass er heute Abend nicht kommt, er kommt morgen.«
Beckett liefert leuchtend klare Pointen über die Unerträglichkeit des Daseins und unser aller Existenzbedingungen. Es ist aber absurdes Theater und an Zuschauer gerichtet, die Geduld haben und nicht mit einer traditionellen Erzählweise an die Hand genommen werden müssen.
Am Bristol-Theater bekam das Stück eine verständlichere und humanistischere Wendung. Morten Grunwalds Frau Lily Weiding führte Regie und durfte die privaten Aufzeichnungen von Becketts persönlichem Assistenten Walter D. Asmus aus Berlin als Grundlage für die dänische Inszenierung verwenden.
Poul Bundgaard erlebte mit dem Stück seinen Durchbruch als Charakterdarsteller und war begeistert: »Was für ein wunderbares Stück, in dem ich mitspielen durfte. Zwar ein bisschen unverständlich, aber mit Hilfe unserer Regisseurin haben wir uns zum Kern durchgebissen, und allen offenbarte sich die Genialität des Stückes.«
Morten Grunwald musste sich vor der Premiere von der Presse die Kritik gefallen lassen, ein bisschen zu ausgebufft zu sein, wenn er die ganze Olsenbande diese Art von Theater spielen ließ. Die Rezensionen fielen jedoch gut aus, und die anfängliche Skepsis verlief im Sande. Statt der sonst üblichen 50 Vorstellungen in dem kleinen Theater hatten sie nun 75, und Grunwald überlegte ernsthaft, ob man sich in einen größeren Saal einmieten sollte, was aber nie geschah. Das Bristol-Theater war so klein, dass Ove Sprogøe bei den Proben Poul Bundgaard aufforderte, seinen Kalorienverbrauch zu senken, damit die anderen auch auf der Bühne Platz hätten.
Wenn ein Abend besonders gelungen war, sagte Ove Sprogøe zu Morten Grunwald: »Heute Abend haben wir Beckett geküsst.« Grunwald hatte die richtige Vision gehabt. Mit »Warten auf Godot« hatten sie eine Inszenierung geschaffen, die bleiben würde.
Dass da die Olsenbande spielte, war schnell vergessen, sagt Morten Grunwald heute: »Wenn ein Stück professionell gemacht ist, haben die Zuschauer keinen Grund zu grübeln, woher sie die Schauspieler von früher kennen. Kann sein, dass ein paar Leute im Pu-blikum gekommen waren, weil sie die Olsenbande auf der Bühne sehen wollten. Aber dann haben wir ihnen hoffentlich etwas gegeben, von dem sie gar nicht gewusst hatten, dass sie darauf Lust haben würden.
Für Morten Grunwald war die Arbeit mit seinem Freund und Kollegen Ove ein Glücksfall: »Mit Ove konnte ich mich immer wieder dem Wesentlichen nähern. Nicht zuletzt dank seiner künstlerischen Energie. Es war für mich ein großes Erlebnis, in der gleichen Zeit wie er zu leben und ihm beruflich in so vielfältiger Weise begegnen zu dürfen. Das hat mein
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