Maechtig, mutig und genial
Kunden sowie Guerillavertretern, und dabei stellte sich heraus, dass das Problem mit sachlicher Information zu lösen war. Gloria blieb im Urabá und war dort bis Mai 1994 wieder für den staatlichen Wohnungsbau tätig. Und im Herzen des Urabá liegt auch Apartadó, die Stadt, deren Bürgermeisterin sie am 1. Januar 1995 für drei Jahre werden sollte.
Apartadó ist das Zentrum der Bananen-Anbauzone des Urabá, und dem Bananenanbau verdankt die Stadt auch ihre Existenz. Ende der 1940er Jahre begann der Zuzug aus anderen Landesteilen, 1967 erhielt der Weiler Stadtrechte und heute leben bereits rund 130 000 Menschen in Apartadó. Die einzelnen Stadtviertel entstanden fast alle in Folge von Landbesetzungen, meist durch Arbeiter der großen Bananenpflanzungen, die bis dahin mit ihren Familien auf den Plantagen gelebt hatten und sich aus der Abhängigkeit vom Dienstherrn lösen wollten. Diese tauschten sie jedoch gegen neue Abhängigkeiten ein, diesmal von den politischen Parteien, die die Landbesetzungen organisierten und den Familien einen Besitztitel versprachen, wenn sie sie politisch unterstützten. So war dasVerhältnis der einzelnen Viertel untereinander meist von vornherein konfliktbeladen, weil die Bewohner unterschiedlichen, sich bekämpfenden Parteien angehörten. Zudem waren in Apartadó die FARC und rechte paramilitärische Gruppen aktiv. Und der damalige Gouveneur von Antioquia, der spätere Präsident Álvaro Uribe, hatte mit dem Aufbau der
Convivir
(dt.: Zusammenleben) begonnen, Selbstverteidigungsgruppen, deren Aufgabe ebenfalls die Bekämpfung der Guerilla war.
Im Januar 1994 war es in einem der Viertel der Stadt zu einem Massaker gekommen, bei dem 35 Menschen ermordet worden waren. Vermutlich waren die FARC dafür verantwortlich. Schließlich wurde auch noch der Bürgermeister unter dem Vorwurf festgenommen, der geistige Urheber des Massakers gewesen zu sein. Er gehörte der linken Partei
Unión Patriótica
(UP, dt.: Patriotische Union) an. In der Stadt, so schreibt Erazo Heufelder über die Zustände damals, war das öffentliche Leben in seinen Grundfesten erschüttert, niemand hatte mehr Vertrauen in die staatlichen Organe. Eigentlich hätten Kandidaten für eine neue Bürgermeisterwahl aufgestellt werden müssen, doch dies hätte die Polarisierung unter den Bürgern nur noch weiter vertieft. So setzten sich auf Initiative des inzwischen verstorbenen Bischofs Isaías Duarte Cancino katholische Kirche, Unternehmerverbände und Vertreter der politischen Parteien zusammen, um einen Kandidaten zu suchen, der keiner politischen Gruppierung angehörte und von allen Parteien getragen würde. Die Wahl fiel auf Gloria Cuartas, die sich inzwischen einen Namen als Vermittlerin in schwierigen Situationen gemacht hatte.
Als der Vorschlag am 24. August 1994 von Bischof Duarte an sie herangetragen wurde, hatte Gloria sich gerade an der Universität von Medellín für ein Aufbaustudium in Entwicklungsmanagement eingeschrieben und betreute von Medellín aus einige kleine Entwicklungsprojekte. Sie flog noch am gleichen Tag nach Apartadó und nach Gesprächen mit sämtlichen 14 Parteien schrieb sie sich als Einheitskandidatin für die Bürgermeisterwahlam 30. Oktober 1994 ein. »Als ich mich dazu entschloss, nach Apartadó zu gehen, war mir bewusst, dass es in der Region zahlreiche Probleme gab. Aber was tatsächlich alles auf mich zukommen würde, ahnte ich nicht«, gab sie Erazo Heufelder zu Protokoll. Cuartas verzichtete auf Bodyguards und weigerte sich auch noch, eine Waffe zu tragen, als sie bereits regelmäßig Todesdrohungen erhielt. Angst vor dem Tod hat sie nicht. Eine kleine, fingergroße Marienstatue ließ sie auch in Apartadó ruhig schlafen. Sie legte sie jeden Abend auf ihre Türschwelle.
Eigentlich verdiente ihre Wahl den Namen nicht, denn die Bürgerinnen und Bürger waren nicht gefragt worden, ob sie mit der einzigen Kandidatin einverstanden waren. Rund 7000 Wahlberechtigte, 20 Prozent der Wähler, gingen dennoch zur Wahl und bestätigten sie als Bürgermeisterin.
Als sie am 1. Januar 1995 ihr Amt antrat, hatten die sie tragenden 14 Parteien weder ein Programm für sie erarbeitet, noch gab es irgendwelche Vorstellungen darüber, wie sie ihr Amt ausgestalten und die Krise der Stadt überwinden sollte. Auch der Stadtrat, bei dem die Entscheidungsbefugnisse lagen, hatte keine Konzepte vorzuweisen. Einigkeit bestand nur darüber, dass die Gewalt aufhören müsse. Wie das bewerkstelligt werden sollte –
Weitere Kostenlose Bücher