Maechtig, mutig und genial
http://www.zeit.de/kultur/musik/2009-10/mercedes-sosa , 14.5.2012.
MARTHA ARGERICH
ARGENTINIEN, *1941
Martha Argerich war das argentinische Wunderkind am Klavier und entwickelte sich in Europa zu einer der bekanntesten Pianistinnen der letzten Jahrzehnte. Gleichzeitig faszinierte sie durch ihre unkonventionelle Art zu spielen und zu leben, die ihr Beinamen wie die »Löwin« oder die »Sphinx am Klavier« eintrugen. In den letzten Jahren ist es allerdings aufgrund ihrer Krankheit, aber auch aufgrund der Veränderungen im Musikbetrieb still um sie geworden.
Martha Argerich war die Rolle einer Diva der klassischen Musikszene nicht in die Wiege gelegt. Geboren am 5. Juni 1941 in eine argentinische Familie der Mittelklasse, wurde ihr Talent eher per Zufall entdeckt. Die berufstätigen Eltern schickten María Martha, genannt Marthita, mit knapp drei Jahren in einen progressiven Kinderhort, wo vor dem Mittagsschlaf eine Pianistin Wiegenlieder spielte. Eines Tages setzte sich die kleine Martha dort ans Klavier und klimperte ein wenig herum. Die Erzieherin erkannte sogleich, dass sie es mit einem hochbegabten Kind zu tun hatte und überredete die Eltern, ein Klavier zu kaufen. Das zunächst erstandene Kinderklavier lehnte die kleine Martha jedoch vehement ab, und erhielt prompt ein richtiges. Nach kurzer Zeit drehte sich das ganze Familienleben um das kleine Wunderkind. Vor allem Juanita, Marthas Mutter, wurde zu einer unerbittlichen Förderin der Karriere der Tochter. Mit fünf Jahren schickte sie sie in die Musikakademie des bekanntesten Klavierlehrers Argentiniens.Die Mutter überwachte die technischen Fortschritte. Der Vater, der stärkere musische Neigungen hatte, brachte seiner Tochter die Grundlagen des Lesens, Schreibens und Rechnens bei, später kamen Privatlehrer ins Haus, die ihr Fremdsprachenunterricht gaben. Eine normale Kindheit und Jugend hat Martha also kaum erlebt und auf die praktische Gestaltung des Alltags wurde sie nicht vorbereitet.
Mit sieben Jahren gab Martha Argerich ihr erstes großes Konzert im
Teatro San Martín
von Buenos Aires, auch wenn ihre Zähne vor Angst klapperten und sie beinahe auf die Bühne gezerrt werden musste. Extremes Lampenfieber und Versagensängste vor einem Konzert sollten die Pianistin ihr Leben lang begleiten und später zu zahlreichen kurzfristigen Absagen führen. Neben eigenen Konzerten hatte das hochbegabte Mädchen auch die Gelegenheit, zahlreiche berühmte Pianisten zu erleben, denn das berühmte
Teatro Colón
und der damalige Wohlstand Argentiniens zogen Künstler aus aller Welt an. Marthas Mutter verschaffte ihrem Wunderkind zahlreiche Vorstellungstermine, doch niemand beeindruckte sie so wie Friedrich Gulda, der 1953 für einen Monat nach Buenos Aires kam. Der damals erst 22 Jahre alte österreichische Pianist brachte frischen Wind in die Klassikszene und war eine ebenso unkonventionelle Künstlerpersönlichkeit wie Martha es später werden sollte. Im darauffolgenden Jahr spielte Martha ihm vor, und Gulda bot dem jungen Mädchen an, sich um Marthas Ausbildung zu kümmern, wenn sie nach Wien käme. Hierzu allerdings fehlten der Familie die Mittel. Doch Marthas Ruhm hatte sich inzwischen in Musikerkreisen in Buenos Aires verbreitet, und jemand vermittelte einen Termin im Präsidentenpalast. Juan Domingo Perón verschaffte den Eltern eine Anstellung an der argentinischen Botschaft in Wien, und 1955 übersiedelte Martha Argerich mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder nach Wien. Gulda sagte später einmal, technisch habe er ihr nichts mehr beibringen können. Sie selbst jedoch sagt, er habe sie fast alles gelehrt, und bezog sich dabei auf denemotionalen Zugang zu den Stücken und die Ausdrucksfähigkeit.
Im Alter von 16 Jahren gewann Martha den ersten Preis beim internationalen Klavierwettbewerb in Bozen, der damals noch getrennt nach Geschlechtern vergeben wurde, kurz darauf einen weiteren in Genf. Damit hatte sie den Durchbruch geschafft. Die Deutsche Grammophon bot ihr sogleich einen Plattenvertrag an, doch sie lehnte ab, da sie sich noch nicht reif dafür fühlte. Erst 1960 willigte sie ein. Dazwischen lag eine ereignisreiche Tournee durch die Sowjetunion als Begleitung eines bekannten ungarischen Geigers, zahlreiche Konzerte, aber auch Absagen und eine Auszeit bei Freunden auf dem Bahnhof Rolandseck bei Bonn. Mit dem Erscheinen ihrer ersten Schallplatte festigte sich ihr Ruf, doch sie selbst geriet in eine persönliche und berufliche Krise. Diese
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