Maechtig, mutig und genial
verstärkte sich, als sie 1963 nach New York reiste, um Vladimir Horowitz zu treffen, den sie sehr bewunderte. Er gab seit zehn Jahren keine Konzerte mehr, und ein Treffen kam nie zustande. Beinahe hätte sie die Karriere »an den Nagel gehängt«, doch während des New-York-Aufenthaltes schloss sie auch zahlreiche Freundschaften mit Kollegen, die sie ein Leben lang begleiten und stützen sollten. Mit dem jungen chinesisch-amerikanischen Komponisten Robert Chen entspann sich ein kurzes Verhältnis, und als Martha wieder in Europa war, stellte sie fest, dass sie schwanger war. Die beiden heirateten, trennten sich jedoch nach wenigen Wochen wieder, unter anderem, weil er das chaotische Leben Marthas nicht aushielt. Kurz vor der Geburt flog sie in die Schweiz zurück, wo sie im März 1964 ihre erste Tochter Lyda gebar. Marthas Mutter kümmerte sich anschließend sowohl um das Baby als auch um die Zukunft ihrer Tochter. Juanita und Juan Manuel Argerich hatten sich kurz zuvor getrennt, Vater und Bruder waren nach Argentinien zurückgegangen, die Mutter jedoch blieb in Europa und managte die Tochter. Ihr und den befreundeten Kollegen ist es zu verdanken, dass Martha sich nicht in einem Anfall von Selbstzweifelzurückzog. Die Mutter überredete sie, nach drei Jahren Pause wieder ins Konzertgeschäft einzusteigen. Allerdings ging dies auf Kosten des Kontaktes zu dem gesundheitlich schwachen Baby, das von der Mutter betreut wurde. Als diese sich mit Robert Chen zerstritt, erkämpfte der Vater sich das Sorgerecht und nahm Lyda mit in die USA.
1965 gewann Martha Argerich den Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau, der die lange Zeit der Krise beendete. Sie war der Star des Wettbewerbs, sowohl wegen ihres fulminanten Spiels als auch wegen ihrer außergewöhnlichen Erscheinung, deren Markenzeichen die Löwenmähne wurde. Damit begann für die Pianistin aber auch das Leben einer global konzertierenden Virtuosin, die vor allem in Europa erhebliche Furore machte und in ihrem Heimatland zu einer Art Nationalheldin wurde. Martha gastierte oft in London, wo sie dem Pianisten Stephen Kovacevich begegnete, der einer der wichtigsten Männer in ihrem Leben werden sollte. Gleichaltrig, wie sie mit kroatischen Wurzeln und unter demselben Sternzeichen geboren, schienen die beiden wie füreinander gemacht, doch erwies sich diese Ähnlichkeit auch als ein Problem. Die Beziehung hielt nur drei Jahre, erlebte allerdings eine Fortsetzung und mündete in eine lebenslange Freundschaft.
Marthas Beziehungen zu Männern, die allesamt Musiker waren, gestalteten sich extrem schwierig. Ihr unkonventionelles Leben und ihre Abneigung gegen jede Art von Regeln, ihre widersprüchliche Mischung aus Selbstbewusstsein und Versagensängsten, enormer Vitalität und Verletzbarkeit waren oft schwer auszuhalten. Martha empfängt ständig Gäste, die kommen und gehen, auch wenn sie sich zwischendurch zum Üben zurückzieht. Sie schläft bis mittags, verbringt dann den Nachmittag mit allerlei alltäglichen Dingen und beginnt erst nachts zu arbeiten. Ihre Zimmer quellen über von Partituren, Aschenbechern und Essensresten. Martha Argerich ist unberechenbar, auch für ihre Agenten. Sie reist nicht gern und verpasste unzähligeMale das Flugzeug, sie unterzeichnet seit den 1970er Jahren keine Verträge mehr, um Konventionalstrafen zu entgehen, und sagt immer wieder kurzfristig Auftritte ab, selbst in den berühmtesten Konzerthallen der Welt. Auch Interviews sind nicht ihre Sache. Musikliebhaber fragen sich, wie sie es schafft, als weltbekannte Pianistin niemals eine Beethovensonate oder wichtige Stücke von Mozart oder Haydn gespielt zu haben. Ein ehemaliger Agent soll einmal gesagt haben: »Martha hat alles dafür getan, ihre Karriere zu ruinieren, aber es ist ihr nie gelungen.«
Kurz nach ihrer Trennung von Kovacevich heiratete Martha 1969 den Dirigenten Charles Dutoit, den sie zehn Jahre zuvor in Genf kennengelernt hatte, und 1970 wurde die zweite Tochter Annie geboren. Doch auch diese Ehe, die in musikalischer Hinsicht sehr fruchtbar war, hielt nur ein paar Jahre. Nach ihrer Trennung im Jahr 1973 blieben die beiden gute Freunde, und Dutoit hat sie immer wieder dazu gebracht, aufzutreten, und erfolgreiche Konzerttourneen mit ihr unternommen.
1974 ging Martha, frisch geschieden, zurück nach London und Genf, wo sie ein Haus besaß. Die Beziehung zu Stephen Kovacevich lebte wieder auf und im März 1975 gebar Martha in der Schweiz das dritte Kind, Stéphanie
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