Maechtig, mutig und genial
zur Teilnahme an der Volksabstimmung über Pinochets Verbleib im Amt, sollte sie wieder chilenischen Boden betreten, denn sie hatte sich geschworen, nur zurückzukehren, wenn dies sämtlichen Exilchilenen gestattet wäre. Aus den demokratischen Wahlen vom 14. Dezember 1989 war der Christdemokrat Patricio Aylwin als Sieger hervorgegangen, und sie konnte im März 1990 aus seiner Hand einen nach der chilenischen Literaturnobelpreisträgerin Gabriela Mistral ( S. 297 ) benannten Orden für besondere Verdienste um Lehre und Kultur entgegennehmen. Inzwischen waren ihre Romane auch in Chile erhältlich.
Isabel zog mit Mann und Kindern in die venezolanische Hauptstadt Caracas, wo sie sich in den ersten Jahren wie ein »Weihnachtsbaum ohne Wurzeln« gefühlt habe. Sie schrieb Beiträge für die Tageszeitung
El Nacional
, und ab 1979 nahm sie, weil sie Geld verdienen musste, eine Stelle als Buchhalterin einer Sekundarschule an, eine Arbeit, die sie hasste. Obendrein begann ihre Ehe zu kriseln.
1981 erhielt sie die Nachricht, dass ihr inzwischen 99-jähriger Großvater in Chile im Sterben lag, und sie begann, ihm einen Brief zu schreiben. Dieser Brief bildete die Basis für das Buch, von dem Isabels Mutter anfangs meinte, es würde niemanden interessieren.
Das Geisterhaus
wurde Isabel Allendes erster Welterfolg. Nachdem zunächst kein Verlag Interesse gezeigt hatte, stellte der ebenfalls in Caracas im Exil lebende argentinische Schriftsteller und Journalist Tomás Eloy Martínez einen Kontakt zu der Literaturagentin Carmen Balcells in Barcelona her. Ein halbes Jahr später, 1982, kam
Das Geisterhaus
in Spanien auf den Markt, zwei Jahre später auch in Deutschland. Zwar erschien der Roman in 40 Sprachen, doch in keinemLand, schrieb ihr inzwischen verstorbener deutscher Verleger Siegfried Unseld, verkaufte sich die Saga über drei Generationen der Familie Trueba, die Etliches mit Isabels weit verzweigter Familie gemeinsam hat, so gut wie in Deutschland: bis heute zweieinhalb Millionen Mal.
Schon der Frankfurter Buchmessen-Schwerpunkt Lateinamerika 1976, der Nobelpreis für den Kolumbianer Gabriel García Márquez 1982 und das Berliner Lateinamerika-Festival Horizonte im gleichen Jahr hatten in Deutschland Interesse für die Autoren des Kontinents geweckt, doch zumindest in Deutschland trug die junge chilenische Autorin damals entscheidend dazu bei, dass es auf dem hiesigen Markt zu einem zweiten Boom des magischen Realismus lateinamerikanischer Prägung kam. Dessen Gesicht war nun nicht mehr nur männlich. Isabel Allende möchte ihre Art zu schreiben im Übrigen lieber als feministischen, denn als magischen Realismus bezeichnet wissen, da ihre Romane von der Sensibilität und den Problemen der Frauen sprechen. »Seit dem Welterfolg von Isabel Allendes
Das Geisterhaus
1982 hat sich das Panorama für ›schreibende Frauen‹ völlig verändert, und davon haben sich manche Romanciers bis heute nicht erholt, wie die Diskussion um die Zuerkennung des Nationalpreises für Literatur in Chile 2010 noch einmal verdeutlicht hat«, so Michi Strausfeld, Deutschlands führende Expertin für lateinamerikanische Literatur. Die Nicaraguanerin Gioconda Belli (S. 334) und die beiden Mexikanerinnen Ángeles Mastretta und Laura Esquivel sind nur einige der Frauen, denen Allende nicht nur auf dem deutschsprachigen Markt den Weg geebnet hat. 1986 lag die Frankfurter Buchmesse der bescheidenen, trotz schwindelerregend hoher Absätze kleinen Frau mit den großen Ohrgehängen und den folkloristischen Umhängetüchern zu Füßen.
Sieben Jahre später hatte der Film
Das Geisterhaus
in München Premiere: Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Billie August hatten mit Jeremy Irons, Meryl Streep, Winona Ryder, Vanessa Redgrave, Glenn Close, Armin Müller-Stahl undAntonio Banderas Hollywoods erste Garde dafür verpflichtet. In London wurde der Roman auf die Bühne gebracht und 2010 in Deutschland als Hörbuch bearbeitet.
Ihr zweiter Roman,
Von Liebe und Schatten
, erschien 1985 auf Spanisch, und auch er wurde 1994 von Betty Kaplan mit Antonio Banderas in der Hauptrolle auf die Leinwand gebracht. Diesmal nahm sich Allende der Verschwundenen der chilenischen Militärdiktatur an. Und wie schon im
Geisterhaus
, ging es ihr wieder um die Politisierung einer jungen Frau aus der oberen Mittelschicht, einer Journalistin diesmal.
Frauen stehen im Mittelpunkt all ihrer Werke. Sie denken und handeln gegebenenfalls anders als Männer, haben andere Stärken und
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