Maechtig, mutig und genial
Buch als einen langen Brief an die Tochter, in dem sie auf deren Krankheit einging, aber auch über das Leben der Familie berichtete, an dem Paula aufgrund ihres Komas nicht teilnehmen konnte, denn zunächst hatte Isabel noch an eine Genesung geglaubt. Und sie erzählte der Tochter aus ihrem eigenen Leben, erinnerte sich an ihre Eltern, an die Zeiten der
Unidad Popular
, an ihre erste Ehe und die Jahre des Exils.
Paula
wurde ihr erster autobiographischer Band und erschien 1994 auf Spanisch und auf Deutsch.
Die Rezeption des persönlichsten, ja, intimsten Buches der Autorin war höchst gespalten. Sie erntete Lob für ihre Offenheit, aber auch heftige Kritik: »Eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat, verdient unser Mitgefühl; dieses Buch nicht«, hieß es in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
, die ihr obendrein noch attestierte, nicht zu erzählen, sondern zu referieren. Gelegentlich wurde ihr sogar der Vorwurf gemacht, sie schlage aus dem Tod der Tochter Kapital.
Mit dem Erlös des Buches gründete sie am 9. Dezember 1996 zur Ehren ihrer Tochter, die in Venezuela und in Spanien ehrenamtlich Sozialarbeit geleistet hatte, die Isabel-Allende-Stiftung. Diese unterstützt über 35 chilenische und US-amerikanische Organisationen, darunter
Amnesty International
, die mit ihrer Arbeit Frauen und Mädchen helfen, ein selbstbestimmtes Leben in wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu führen, und sie vergibt Stipendien für Schülerinnen und Studentinnen, die sich Ausbildung oder Studium nicht leisten können. Kaum ein Vortrag oder Interview, in dem Allende nicht auf die anhaltende Benachteiligung von Frauen aufmerksam machte, auf die geringere Bezahlung bei gleicher Arbeit, auf sexuellen Missbrauch oder auf die Leiden von Frauen und Kindern in Krisengebieten. Der Feminismus, so ihre Botschaft, ist noch längst nicht überholt.
Sie hatte sich nach Pinochets Putsch vorgenommen, Position zu beziehen, und so nahm sie 2003, nach dem Attentat auf das World Trade Center, die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Als sie die Twin Towers brennen sah, habe sie sich so sehr mit den Opfern identifiziert, dass sie begonnen habe, sich als Amerikanerin zu fühlen. Kalifornien sei ihr Zuhause, Chile das Land ihrer Nostalgie. Ihre Stiftung engagierte sich beim Wiederaufbau Chiles nach dem schweren Erdbeben vom 27. Februar 2010. Kaum war der Flughafen wieder funktionsfähig, flog Isabel nach Santiago, spendete eine halbe Million Dollar und half dabei, weitere Spenden zu sammeln.
Nach
Paula
schrieb sie ein erotisch-literarisches Kochbuch mit autobiographischen Elementen, eine Jugendbuch-Trilogie sowie zwei gut lesbare historische Abenteuerromane, die sich mit dem Goldrausch in den USA sowie mit der chinesischen Einwanderung dort befassen, und goss schließlich als Auftragsarbeit einer Filmgesellschaft die Geschichte des Zorro in einen Roman. Erst 2006 legte sie mit
Inés meines Herzens
wieder ein Buch vor, das literarische Qualität beanspruchen kann und von der Kritik auch entsprechend gewürdigt wurde. Vier Jahrelang hatte sie in historischen Archiven über Inés Suárez ( S. 185 ) recherchiert, die Gefährtin von Pedro de Valdivia, des spanischen Eroberers von Chile.
Allende rekonstruierte deren Leben sowie ihre Lebensumstände und entwickelte daraus ihren historischen Roman. »Ich habe ein Faible für starke Frauen, alle meine Protagonistinnen sind stark, doch Inés Suaréz war es ganz besonders«, begründete sie dies. Zwar bemühen sich vor allem feministische Historikerinnen seit etlichen Jahren, die über Jahrhunderte vernachlässigte Rolle der Frauen in Lateinamerika zu erforschen und ihnen den Platz in der Geschichte zukommen zu lassen, der ihnen gebührt, doch ihre Forschungsergebnisse waren meist nur einer Minderheit bekannt. Nach
Inés meines Herzens
erschienen weitere Romane über historische Frauengestalten der lateinamerikanischen Geschichte und machen deren Wirken einem breiteren Publikum zugänglich.
Die Insel unter dem Meer
, 2010 auf Deutsch erschienen, ist erneut ein hervorragend recherchierter historischer Unterhaltungsroman, der die haitianischen Sklavenaufstände gegen die Franzosen zum Thema hat. Ihre Protagonistin allerdings ist diesmal wieder eine fiktive Figur. Ihr Werk
Mayas Tagebuch
, an Allendes siebzigstem Geburtstag am 2. August 2012 in deutscher Übersetzung erschienen, ist dagegen nicht gelungen. Gewidmet »den Halbwüchsigen in meiner Sippe« befasst es sich mit der Drogensucht einer jungen Frau aus
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