Maechtig, mutig und genial
vergleichsweise sozial eingestellt und von Somoza in seiner Entfaltung behindert, standebenso hinter ihm wie die junge universitäre Linke, die sich um die 1961 gegründete Guerillaorganisation
Frente Sandinista de Liberación Nacional
(FSLN, dt.: Sandinistische Front der Nationalen Befreiung) scharte. Und auch den USA – dort hatte 1977 der sich den Menschenrechten verpflichtet fühlende demokratische Präsident Jimmy Carter die Präsidentschaft übernommen – war er genehm. Pedro Joaquín Chamorro wurde somit zu Somozas gefährlichstem Gegner.
Violeta war die Frau an seiner Seite. An seinen Entscheidungen hatte sie nicht teil, wie Chamorros politisches Tagebuch belegt: Bei ihr erholte er sich von den Mühen der Politik. »Der Mann entscheidet, gehorche ihm« war Violetas Credo, erinnert sich Tochter Claudia. Die Mutter besaß nicht einmal einen Passierschein, um die familieneigene Zeitung zu betreten.
Am 10. Januar 1978 nahm Violeta Barrios de Chamorros privates Glück nach 27 Jahren Ehe ein jähes Ende. Pedro Joaquín Chamorro war mit seinem Saab auf dem Weg zum Verlag gewesen, als ihn Somozas Schergen erschossen. Zu Lebzeiten war er ein mutiger Mann, doch nun wurde er zum Mythos, zum Märtyrer, gestorben im Kampf für ein demokratisches Nicaragua. Violeta trat ein gutes Jahr später sein politisches Erbe an.
Kurz vor dem Sieg der Sandinisten über den Diktator am 19. Juli 1979 hatte Violeta ihre Tochter Claudia nach Costa Rica begleitet, um dort festzustellen, dass deren Mann in den Bergen mit der Waffe in der Hand für die Revolution kämpfte. Auch Claudia hatte sich den Sandinisten angeschlossen. Sie war es, die nach deren Sieg den Wunsch der
Comandantes
an die Mutter herantrug, diese möge der ersten Regierungsjunta beitreten. Ihre vier Kinder rieten ihr zu. Gemeinsam mit Tochter Claudia, die jetzt ihre Assistentin wurde, kehrte Violeta Barrios de Chamorro nach Managua zurück. Mit den Sandinisten Sergio Ramírez und Moisés Hassan und dem Unternehmer Alfonso Robelo gehörte sie ab dem 16. Juni 1979 der
Junta de Gobierno de Reconstrucción Nacional
(dt.: Regierungsjuntazur nationalen Rettung) an, deren Präsident Daniel Ortega wurde.
Auch ihr jüngster Sohn, Carlos Fernando, stellte sich wie Tochter Claudia in den Dienst der Sandinisten, zunächst als stellvertretender Kulturminister. Violetas ältester Sohn, der nach dem Tod des Vaters die Chefredaktion von
La Prensa
übernommen hatte, machte bereits sehr bald in seinen Beiträgen kein Hehl daraus, dass er mit der Politik der Junta nicht einverstanden war; er befürchtete, dass die radikalen, an der kubanischen Revolution orientierten Kräfte der FSLN die Oberhand gewinnen könnten. Und auch Cristiana, die als Redakteurin im familieneigenen Blatt tätig war, begann, die Sandinisten mit kritischen Augen zu betrachten. In der Familie zeichnete sich die Polarisierung ab, die nicht nur sie, sondern ganz Nicaragua in den kommenden zehn Jahren beherrschen sollte. Die Verbundenheit der Chamorros drohte zu zerbrechen.
Violeta hatte den Tod ihres Mannes noch nicht überwunden, und ein Wirbelsäulenleiden machte ihr zu schaffen. Es fiel ihr schwer, den Druck auszuhalten, den die Regierungsverantwortung mit sich brachte, und so bat Claudia Präsident Ortega schon sehr bald, die Mutter von ihrem Amt zu entbinden. Am 19. April 1980, nach nur neun Monaten, sagte sich dann die Unternehmerschaft, die Robelo vertrat, von den Sandinisten los, weil ihr die sandinistische Wirtschaftspolitik zuwiderlief. Claudia Chamorro erklärte 1991, das Demissionsgesuch ihrer Mutter habe zum Zeitpunkt des Rückzugs des Unternehmerflügels längst vorgelegen und keine politischen Gründe gehabt. Die Mutter selbst schrieb jedoch in ihren Memoiren, sie habe bereits sehr schnell einen ausufernden Militarismus, wachsende Bürokratie und Korruption, zu viele Staatsmonopole, eine übertriebene kubanische Präsenz und vor allem wenig Interesse an demokratischen Ideen gespürt und sich deshalb aus der Junta zurückgezogen. Nicaragua habe ein ungerechtes Regime gegen ein anderes ausgetauscht, heißt es in ihren Erinnerungen.Fortan wurde sie von den Sandinisten als Blutsaugerin und Spionin beschimpft, schreibt sie.
Gefördert von bürgerlichen Parteien und Unternehmern, formierten sich ab 1980 bewaffnete Milizen aus ehemaligen Somoza-Anhängern, aber auch aus abtrünnigen Sandinisten, die von der Revolution enttäuscht waren oder den prosowjetischen Kurs ablehnten, den Daniel Ortega nun offen
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