Maechtig, mutig und genial
organisieren. Nach einer Großdemonstration in La Paz gegendie Maßnahmen der Regierung, bei der die Mehrzahl der Demonstranten, unter ihnen viele Minenarbeiter aus
Siglo XX
, verhaftet wurden, begannen die Hausfrauen, sich in die Politik einzumischen. Sie zogen nun ihrerseits in die Hauptstadt, um die Freilassung ihrer Männer zu erreichen, was ihnen nach einem zehntägigen Hungerstreik auch gelang. Dieser Erfolg stärkte die Komitees, und die Frauen stritten nun nicht mehr nur für eine bessere Versorgung in den Minenläden, Schulen oder Krankenhäusern, sondern auch für die Zahlung ausstehender Löhne und die Lösung grundsätzlicher Probleme der Mine, in der sie lebten.
Die Frauen verstanden sich als Proletarierinnen und Gewerkschafterinnen, die die Kämpfe der Männer unterstützten, obwohl diese sich bis Anfang der 1980er Jahre weigerten, sie als Gewerkschaftsmitglieder aufzunehmen mit der Begründung, sie seien schließlich keine Arbeiter(innen). Nicht nur deshalb kamen viele der »Hausfrauen«, so auch Domitila, im Laufe ihres Engagements nicht umhin, die Geschlechterverhältnisse in ihren Familien zu überdenken. Auf diese Weise hatte Domitila, wie so viele andere Frauen auch, gegen den Willen ihres Mannes begonnen, sich im Hausfrauen-Komitee zu engagieren, wurde aber letztlich durch ihr politisches Engagement immer selbstbewusster, auch gegenüber ihrem Mann und ihrem Vater.
Als Präsidentin des Hausfrauen-Komitees organisierte Domitila Hungerstreiks oder Protestmärsche, in denen die Frauen teilweise zusammen mit ihren Kindern an vorderster Front marschierten, um den Militärs ein Eingreifen zu erschweren. So nutzte man die traditionellen Geschlechterrollen für die eigenen Zwecke, denn auf wehrlose Frauen und Kinder zu schießen war für Männer, auch für Soldaten, ehrenrührig. Langfristig allerdings funktionierte dies nur bedingt, denn gerade unter den immer wiederkehrenden Militärdiktaturen wurde Domitila, die immer stärker politisch argumentierte, mehrfach verhaftet und gefoltert. Es scheint, als habe gerade ihr»unweibliches« Verhalten die Militärs besonders aufgebracht und als Rechtfertigung für die Misshandlungen gedient. Unter der Militärdiktatur von General René Barrientos (1964–1969) spitzte sich die Lage in Bolivien nicht nur allgemein zu, sondern auch für Domitila persönlich. Hochschwanger wurde sie erneut verhaftet und so schwer misshandelt, dass sie ihr Kind verlor und beinahe ebenfalls gestorben wäre. Nach der Entlassung aus der Haft brachten ihr Mann und ihr Vater sie mitsamt den Kindern in das bolivianische Tiefland, um sie aus der politischen Schusslinie zu nehmen. Doch auch dies konnte ihren Kampfeswillen nicht brechen; im Gegenteil, sie nutzte die Zeit, um das Leben der Bauern im Tiefland kennenzulernen und sich politisch zu bilden. 1970, in einer kurzen Phase der Demokratisierung, kehrte sie wieder in die Minenregionen im Hochland zurück, und obwohl ihr Vater und ihr Mann ihr jegliche gewerkschaftliche Betätigung mit Hinweis auf die Familie verboten, ließ Domitila sich nicht beirren.
Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den
mineros
und ihren Familien erregten bald das Interesse der Öffentlichkeit und es kamen Intellektuelle und Künstler, die mit den Minenarbeitern und dem Hausfrauen-Komitee diskutierten. Einer von ihnen war der bolivianische Filmemacher Jorge Sanjinés, der einen Film über ein in der Nähe von
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an den protestierenden Arbeitern verübtes Massaker drehte (
El coraje del Pueblo
, dt.:
Der Mut des Volkes
, 1971). Dieser Film, der in Bolivien zunächst nicht gezeigt werden durfte, machte die Frauen auch im Ausland bekannt. Dieser Film war es auch, der eine brasilianische Filmemacherin 1974 nach
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brachte, als sie im Auftrag der UNO nach lateinamerikanischen Frauen suchte, die sich politisch engagierten, um sie zur Weltfrauenkonferenz in Mexiko einzuladen. So bestieg Domitila 1975 erstmals in ihrem Leben ein Flugzeug und lernte ein anderes Land als Bolivien – und letztlich auch eine ganz andere Welt – kennen.
1975 fand in Mexiko-Stadt die ersten Weltfrauenkonferenzder Vereinten Nationen statt, auf der neben der offiziellen Tagung der Regierungsdelegationen erstmals auch ein Forum für nichtstaatliche Akteure einberufen wurde – ein absolutes Novum, das inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Diese erste Weltfrauenkonferenz wurde auch zum Ausgangspunkt einer zweiten Welle von
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