Mädchen im Moor
spürte einen körperlichen Schmerz, als er das aussprechen mußte, was nötig war. Es ergriff ihn mehr, als er gedacht hatte.
»Die Triebfeder war Rolf Arberg, nicht wahr?«
»In den Akten –«
»Himmel nochmal, hör mit den Akten auf, Monika! Ich will von dir wissen, was los war. Rolf Arberg hat dich gezwungen, das zu tun, nicht wahr?«
»Wie kann man einen Menschen zwingen, so etwas zu tun«, warf Dr. Schmidt ein. »Da muß doch ein Grund zur Erpressung vorhanden gewesen sein!«
»Genau das ist in der Verhandlung nicht zur Sprache gekommen.« Dr. Spieß holte aus seiner Brieftasche einige Notizen. »Monika hat vor Gericht einfach gestanden. Das genügte. Der damalige Anwalt plädierte auf Milde … weiter geschah nichts. Aber hier gibt es Hintergründe, und zwar rein psychologischer und – wenn man so will – auch biologischer Art. Sprich jetzt einmal offen, Moni …«
Bei der Erwähnung ihres Kosenamens warf Monika Busse den Kopf hoch. Ihr Blick war voller Qual und dem Flehen, nicht zu fragen. Dr. Spieß biß sich auf die Unterlippe. Es muß sein, dachte er. Man muß hart sein, auch wenn es einem selbst weh tut.
»Rolf Arberg war dein erster Mann …«, sagte er plötzlich mit heiserer Stimme. Monikas Kopf zuckte zur Seite. Ihr Schweigen war Antwort genug. Dr. Spieß fühlte einen heißen Stich in der Herzgegend. Ein unbändiger Haß gegen den ihm unbekannten Arberg stieg in ihm hoch. Seine Macht über Monika mußte so groß gewesen sein, daß sie selbst in der Hauptverhandlung über alles geschwiegen und ihn gedeckt hatte.
»Warum sagst du nichts?« fragte Dr. Spieß stockend. »Es stimmt doch.«
»Ja.«
Diese Bestätigung war wie ein Hammerschlag. Dr. Schmidt sah mit Verwunderung, wie das Gesicht des Anwaltes kantig und hölzern wurde. So ist das also, dachte er. Es war wie ein Erschrecken.
»Und das hat er ausgenutzt«, fragte Dr. Spieß weiter.
»Ja.«
»Du … du hast ihn wirklich geliebt … Und er hat gedroht, daß er von dir weggehen würde, wenn du nicht alles tust, was er will … Und davor hattest du Angst, du hast an die große Liebe geglaubt, du konntest dir nicht denken, daß Rolf jemals von dir weggehen würde, der Gedanke daran allein war eine Qual –«
Monika Busse schwieg wieder. Sie hatte sich abgewandt, den Kopf auf die Sessellehne gelegt und die Faust gegen die Zähne gepreßt.
»Du brauchst nur Ja oder Nein zu sagen, Moni …«, sagte Dr. Spieß heiser. »Wir wollen gar keine Erklärungen von dir. Wir wissen auch so, wie es wirklich gewesen ist.«
»Ja –«, sagte Monika Busse leise.
»Er hat immer gedroht, dich zu verlassen.«
»Ja.«
»Und wenn du getan hast, was er wollte, hat er dich als ›Belohnung‹ geliebt –«
Monika nickte stumm. Sie schämte sich und sank immer mehr in sich zusammen. Dr. Schmidt räusperte sich und ging im Zimmer hin und her. Immer das alte Lied, dachte er dabei. Hörigkeit durch sexuelles Erleben, Absterben jeglicher Vernunft und Moral, weil diese jungen Menschen einfach mit ihren noch unausgegorenen Gefühlen nicht fertig werden. Hier sollte man kein Strafgesetzbuch anwenden, sondern ein Lehrbuch über Psychologie und Pubertätsstörungen. Erschreckend war nur das Ausmaß dieser jugendlichen Unfertigkeit.
»Noch Fragen, Doktor?« sagte er, als der Anwalt lange Zeit schwieg. Dr. Spieß schüttelte den Kopf.
»Vorerst nicht –«, sagte er leise, als mache ihm das Sprechen ungeheure Mühe.
»Dann können Sie wieder gehen, Monika.«
Monika Busse erhob sich. Einen Augenblick stand sie vor Dr. Spieß und sah ihn aus ihren großen, blauen, vom Weinen geröteten Augen flehend an. Dann wandte sie sich ruckartig ab und ging zur Tür. Dort aber blieb sie wieder stehen und sah sich um.
»Sie werden Mutter und Vater sehen …?«
»Ja, Moni.«
»Grüßen Sie sie bitte …« Mehr konnte sie nicht sagen. Sie preßte das Kopftuch wieder gegen den Mund, als müsse sie einen Schrei unterdrücken, riß die Tür auf und lief hinaus. Es war eine Flucht vor dem Zusammenbruch. Unten, in der Eingangsdiele des Hauses, lehnte sie sich gegen die Wand und preßte das Gesicht an die Tapete. Sie weinte haltlos und hieb mit den Fäusten gegen die Mauer. So traf sie Julie Spange, die aus der Verwaltung kam und hinüber zu den Ställen wollte, um zu sehen, ob das Stroh richtig verteilt worden war. Ohne zu fragen, nahm sie Monika in den Arm und führte sie in ihr Zimmer.
»Heul dich aus«, sagte sie. »Bis zum Mittagessen wird's vorbei sein.«
Dann ließ sie
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