Mädchen im Moor
sie wußten, daß es so jetzt jede Nacht sein würde, immer auf der Lauer, zerfressen vom Mißtrauen, zwei Raubtiere, die darauf warteten, ihren Käfig aufsprengen zu können.
Die Liste des Außendienstes war endgültig. Ein paar Namen wurden noch hin und her geschoben, Emilie Gumpertz kämpfte wie eine Löwenmutter um ein Mädchen Erna, ein dralles Ding, das erst seit vier Wochen in Wildmoor war und zwei Jahre wegen versuchten Mordes an ihrem Geliebten bekommen hatte. Erna war neunzehn Jahre alt, kräftig gebaut, bereute ihre Tat wirklich und war der Köchin Emilie Gumpertz sofort bei der Einlieferung aufgefallen. Nach langen Verhandlungen bekam sie Erna wirklich für die Küche frei, zum Kesselschrubben, wie sie sagte, wozu man kräftige Arme haben müsse. So blieb Erna also im Innendienst, und Emilie Gumpertz entwickelte ihren ganzen mütterlichen Charme, um zunächst das Vertrauen des Mädchens zu erringen und die anfängliche Haftpsychose zu verdrängen.
Eines Morgens standen die Moorbauern nebeneinander im Hof von Wildmoor, aufgereiht wie eine kleine Kompanie zum Morgenappell. Käthe Wollop, für die der Außendienst sowieso illusorisch war, stand an der Stalltür und nagte an der Unterlippe. Drei junge Bauern waren dabei, stämmige Kerle mit prallen Schenkeln in den Leinenhosen. Sie sahen nicht zu Käthe hin, denn Regierungsrat Dr. Schmidt hatte vor einer halben Stunde seine Belehrung abgeschlossen und eindringlich gesagt: »Meine Herren … ich wiederhole: Die Mädchen sind Strafgefangene. Sie haften dafür, daß nichts geschieht. Wenn Sie eines oder mehrere dieser Mädchen mitnehmen, stehen Sie immer mit einem Bein selbst im Gefängnis! Bei der geringsten Vernachlässigung Ihrer Aufsichtspflicht machen Sie sich strafbar. Überlegen Sie sich also gut, was Sie tun. Auch ich stehe mit einem Bein im Knast … das hier ist ein Experiment, für das ich allein verantwortlich zeichne. Ich kenne meine Mädchen, ich weiß, daß die, die gleich mit Ihnen gehen, besserungsfähig und besserungswillig sind, daß sie nicht ausreißen, daß sie fleißig sind. Aber es gibt immer schwarze Schafe, und man sieht einem Menschen auch nur immer vor den Kopf, nie hinein!«
Nun fing es gleich an, bevor überhaupt die Verteilung stattfand. Käthe Wollop wandte den Kopf zurück und rief in den Stall hinein.
»Hilde, komm mal raus … da stehn drei verfrühte Maibäume …« Dann stellte sie sich aufreizend an den Türpfosten, drückte die Brüste heraus und pfiff.
Hilde Marchinski kam nicht, sie schüttete Heu in die Futterkrippen. Dagegen stand Dr. Schmidt am Fenster seines Zimmers und winkte Hedwig Kronberg heran.
»Wer ist das?«
»Käthe Wollop, Herr Regierungsrat.«
»Schwierig?«
»Gar kein Ausdruck, Sie erinnern sich … vor Weihnachten hatte sie Dunkelhaft.«
Dr. Schmidt nickte. »Wir werden sie zurückschicken müssen. Das scheint ein Fall zu sein, an dem Erziehungsmethoden Verschwendung sind. Wie alt?«
»Gerade achtzehn.«
»Ich werde mir die Akte nachher vornehmen. Halten Sie diese Wollop bereit, damit ich sie sprechen kann.«
Eine halbe Stunde später war der große Innenhof wieder leer. Eine ungewohnte Stille lag über Gut Wildmoor. Vierunddreißig Mädchen waren draußen im Moor, fuhren mit den flachen Moorkähnen über die schmalen Wasserstraßen in die Einsamkeit und kamen sich doch vor, als gehöre die Welt wieder ihnen. Eine andere Gruppe rollte auf hochrädrigen Karren über das weite Land … es war, als führen sie direkt in den Himmel, denn das Braungrün des Moores und das lichte Blau des Himmels flossen zusammen.
Auch Fiedje Heckroth hatte einen neuen Gast abgeholt. Er hatte Monika Busse nichts davon gesagt. Auch Vivian v. Rothen wußte nicht, wohin es ging. Sie hatte den Bauern, der sie abholte, zwar schon mal gesehen, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, in welchem Zusammenhang.
»Mach's gut, Vivi«, sagte Käthe Wollop, als Vivian abholbereit war. »Wenn ich an deiner Stelle wäre … Kinder, würde ich Geld machen! Die Kerle würden Schlange stehen!«
Vivian v. Rothen ließ Käthe Wollop stehen und ging wortlos aus dem Zimmer.
»Die feine Prinzessin!« schrie Käthe hinter ihr her. »Du bist genauso eine Hure wie wir …«
Nach einer schönen Fahrt sah Vivian das niedrige, große Strohdach auftauchen. Wie damals Monika Busse hatte sie das Gefühl, in eine neue Heimat zu kommen, wieder ein Zuhause zu haben, geborgen zu sein.
»Ich freue mich …«, sagte sie zu Fiedje Heckroth. Der
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