Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Schmidt hatte sich zuerst geweigert, seine Mädchen dazu herzugeben. Als aber ein Versuchskommando begeistert war von dieser Arbeit, hatte er zögernd zugestimmt, die kräftigsten Mädchen dazu abzustellen. Jeden Morgen wurden sie dann von dem zuständigen Bauern abgeholt und abends wieder zurück zum Gut gebracht … den ganzen Tag aber waren sie frei, zwar umgeben vom tückischen Moor, unmöglich, auszubrechen, und doch in dem glücklichen Gefühl, nicht in einer Anstalt zu sein, sich bewegen zu können, wie man wollte und – hatte man einen guten Bauern erwischt – auch faulenzen zu können. Die Mädchen vom Außendienst kamen im Herbst braungebrannt zurück, fröhlich und gesund … Vier waren sogar nach ihrer Entlassung im Moor geblieben und hatten Knechte geheiratet, eine sogar einen Hoferben. Es war lange Zeit die Sensation von Stavenhagen gewesen, bis man sich an die neue Bäuerin gewöhnt hatte und der Hoferbe nicht mehr von den anderen geschnitten wurde.
    Die einzige, die Sorgen machte, war Hilde Marchinski. Mit Beginn des Frühlings wurde sie unruhig. Es war, als sei sie ein Baum, der den Winter über geschlafen hatte und nun beginnt, auszutreiben und bis in das letzte Geäst gärenden Saft zu pressen.
    Äußerlich sah man es ihr nicht an … aber abends und oft auch nachts saß sie am Fenster und starrte hinaus ins Moor. Käthe Wollop, erfahren in solchen Dingen, faßte es in die Worte zusammen: »Die Hilde kriegt 'nen Männerkoller. Paßt auf … die fällt noch 'mal den Chef an …«
    »Dusselige Ziege!« Das war die einzige Antwort Hildes. Sie war nicht überzeugend. Ganz schlimm wurde es, als durch eine Indiskretion die Liste der Mädchen bekannt wurde, die Dr. Schmidt für den Außendienst vorgesehen hatte. Emilie Gumpertz war die Informationsquelle. Sie mußte bei der Neueinteilung auch gehört werden, da sie fünf Mädchen für die Küche brauchte. Über eine ihrer Favoritinnen kam die Liste in den Block 1. Hilde Marchinski war nicht unter den Namen genannt.
    Sie nahm es still, wortlos, mit steinernem Gesicht auf. In der Nacht aber kletterte sie auf den Klositz und holte aus dem Wasserspülkasten des Klosetts den Plastikbeutel mit der Moorkarte heraus.
    Die guten Vorsätze waren von dem inneren Drang nach Leben und Liebe weggeschwemmt. Der Trieb war stärker geworden als die Vernunft und der Wille, nicht mehr in den Sumpf des Lebens zurückzukehren. Wie ein Tier, das aus dem Winterschlaf erwacht, drängte sie ins Freie. Sie konnte nicht dagegen an … es war ihre Natur, und die drängende Kraft in ihr war so gewaltig, daß sie es einstellte, immer wieder zu sagen: Du darfst nicht! Sei stark! Sei stark! – Es war sinnlos.
    In einer Nacht überraschte Käthe Wollop sie, wie sie die Karte studierte und einen Weg einzeichnete.
    »Ich geh mit –«, sagte sie. »Ich habe es auch satt, das sanfte Häschen zu spielen. Ist doch alles Quatsch … als ob die uns bessern könnten, wenn sie uns im Stall arbeiten lassen! Und die Schulungsstunden bei der Wangenbach. Geschichte, Naturkunde, Bürgerkunde, Rechnen, Biologie. Ist doch alles Käse! Wichtiger ist, zu wissen, wie man 'nen Mann rumkriegen kann, statt dreißig fünfzig Mark zu zahlen! Das kann die Wangenbach nicht … aber das brauchen wir, was, Hilde?«
    »Ich geh allein«, sagte Hilde Marchinski und faltete die Karte zusammen. Käthe Wollops Augen wurden schmal.
    »Hildchen, mach keinen Quatsch …«, sagte sie.
    »Allein geht es besser. Zu zweien fallen wir auf. Vor allem als Anhalter!«
    »Du bist ein ganz egoistisches Biest …«
    Hilde versteckte die Karte wieder im Wasserspülkasten. »Du kannst mich ja verpfeifen –«
    »Und wenn ich es tue?«
    »Dann mach dein Testament.«
    Das klang ganz leidenschaftslos, fast wie ein Witz, aber in den Kreisen Käthe Wollops wußte man, wie ernst solche leichthin gesprochenen Worte waren.
    Die beiden Mädchen sahen sich an … eine plötzliche Feindschaft war zwischen ihnen, die unauslöschbar schien.
    »Du wirst nicht ohne mich abhauen …«, sagte Käthe Wollop leise. »Ich bleibe dir auf den Fersen … Ohne deine Karte sind wir aufgeschmissen … du wirst mich mitnehmen müssen, ob du willst oder nicht.«
    »Das wird sich zeigen …«
    Sie gingen zurück in ihr Zimmer und legten sich in ihr Bett. Der Drang nach Freiheit war so stark in ihnen, daß jede die andere hätte umbringen können, um den Weg hinaus frei zu bekommen.
    Sie schliefen in dieser Nacht nicht mehr, sie bewachten sich gegenseitig. Und

Weitere Kostenlose Bücher