Mädchen im Moor
Bewußtsein: »Du bist ein heilloser Idealist! Eines Tages wirst du einsehen, daß ein Rufer in der Wüste mehr Echo hat als du …«
Er mochte recht haben … aber ist nicht das leiseste Echo einer schwachen Stimme schon wichtig –?
Der Frühling kam.
Der Schnee schmolz über dem Moor, der braune Boden kam in großen Flecken aus der Schneedecke hervor, die Birken zogen Saft, Winde bogen die Büsche zur Erde, die Wolken jagten greifbar tief über das ebene Land.
Von Helena v. Rothen war ein Artikel in der Presse noch nicht erschienen. Dr. Spieß suchte noch immer Rolf Arberg. Sein Wiederaufnahmeantrag war, wie erwartet, abgelehnt worden, weil das Tonband nicht als Beweismittel zugelassen wurde. Die Familie Busse rückte daher noch enger zusammen. »Gut, soll sie sitzen«, sagte Vater Hans Busse. »Im Winter ist sie wieder da! Aber dann nehme ich sie an die Kandare. Nicht einen Schritt macht die mehr allein!« Dr. Spieß verzichtete darauf, zunächst zu sagen, daß auch dieses völlig falsch sei. Bis zum Winter ist noch eine lange Zeit, dachte er. Da ändert sich vielleicht manches.
Pfeifen-Willi war in die Stadt zurückgekehrt, allerdings in ein Außenviertel, weil die Innenstadt von Lotte Marchinski und ihren Genossinnen beherrscht wurde. Willi wollte es nicht darauf ankommen lassen, in ihr Blickfeld zu kommen … sein Leben war aufregend genug, seitdem er in einer Molkerei Arbeit angenommen hatte. Er mußte Milchkannen schleppen und große Aluminiumkörbe mit Quark-Paketen verladen. Abends saß er dann erschöpft in seinem kleinen Dachzimmer, starrte auf die Dächer und Fernsehantennen der Nebenhäuser und bedauerte sich. Vor allem der Mangel an Frauen drückte ihn nieder. Die drei Mädchen, die er kennengelernt hatte, stellten für einen Besuch in Willis Zimmer die Bedingung, daß er sie heiraten müsse. Vor soviel Moral kapitulierte er und verzichtete auf weitere Überredungsmanöver. Wo war die schöne Zeit hin, da er bis 11 Uhr im Bett liegen konnte und Hilde schon unterwegs war, die ›Privatkundschaft‹ zu besuchen. Kam sie mittags nach Hause, legte sie fünfzig oder hundert Mark auf den Tisch, und man konnte piekfein essen gehen, schlief am Nachmittag, um für die Nacht frisch zu sein, denn bei Dunkelheit wurde ja der Laden geöffnet. Kinder, war das ein Leben! Und jetzt schleppte er Milchkannen und alles war im besten Sinne des Wortes nur Quark!
Monika Busse war noch immer bei Fiedje Heckroth. Elga, die Bäuerin, hatte sich sehr mühsam von der Blinddarmoperation erholt … und kaum, daß sie wieder auf den Beinen war und auf dem Hof anpacken konnte, fühlte sie, daß sie schwanger war. Sie nahm es klaglos hin als ein Naturereignis, das man nicht abwenden konnte. Nur Fiedje mußte wieder zu Regierungsrat Schmidt, drehte seine Kappe in den Fingern und bat darum, Monika weiter auf dem Moorhof zu lassen. Sie war unentbehrlich geworden.
»Richtige Freundinnen sind sie geworden, Elga und Monika«, sagte er in seiner schwerfälligen Art. »Wenn man bedenkt, was das heißt … wo Elga doch immer so gegen die Mädchen von Wildmoor war. Verbrecherinnen, hat sie sie immer genannt. Und nun … richtige Freundinnen, Herr Doktor. Und ich kenne das … ab dem 4. Monat muß meine Frau sich ausruhen. Schonung, sagt Dr. Röhrig. Da können wir Monika nicht missen …«
Dr. Schmidt genehmigte den weiteren Aufenthalt Monika Busses bei Fiedje Heckroth. Er tat sogar ein übriges: Er nahm sich vor, auch Vivian v. Rothen zur Landarbeitshilfe bei Heckroth abzustellen, sobald die Schneeschmelze vorbei war und die Außenarbeit wieder begann.
Eines Tages war es dann so weit … ein warmer Wind kam von Westen her und fegte das Moor von den letzten Schneefetzen blank. Plötzlich zeigten die Birken grüne Spitzen, die Weiden waren weiß und gelb betupft … die ersten Lerchen flatterten in den blauen Himmel.
In Wildmoor begann eine hektische Arbeits- und Sauberkeitswut. Es kam zu keinen Vorfällen, zu keinerlei kleinen Reibereien mehr, selbst Emilie Gumpertz wurde nicht mehr geärgert. Alles verhielt sich so brav wie möglich … aus den oft eigenwilligen Mädchen wurden sanfte, samtäugige Geschöpfe: Die Einteilung stand bevor … die Einteilung, wer in den Außendienst durfte und wer im Innendienst des Gutes blieb.
Der Außendienst war schwer. Es ging hinein in das Moor, wo Torf gestochen wurde oder Gräben gezogen wurden, um nasse Moorstücke zu entwässern und trockenzulegen. Es war eine reine Männerarbeit, und Dr.
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