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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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von den Füßen bis zu den hochgesteckten Haaren. »Du siehst fantastisch aus!«
    »Hau ab!« sagte Vivian grob. Plattner hob die Augenbrauen.
    »So kenn ich dich gar nicht –«
    »Wenn du nicht sofort gehst, hole ich den Bauern.«
    »Kaninchen –«, Plattner setzte sich wieder ins Heu. »Komm her zu mir … Daß ich von St. Tropez bis hierher gekommen bin, ist das nichts? Ich habe so oft an dich denken müssen … und ich habe ein schlechtes Gewissen. – Komm setz dich zu mir.«
    »Wir haben uns nichts mehr zu sagen.«
    »Ich soll dich grüßen von Evi, Lydia, Fifi … und der Pietro hat jetzt ein neues Motorboot, mit zwei 110-PS-Motoren –«
    »Laß mich mit deiner Welt in Ruhe! Ich muß gleich in den Stall … das ist wichtiger.«
    »Du hast dich sehr verändert, Kaninchen.«
    »Gott sei Dank!«
    »Das macht die andere Umgebung. Wenn du erst wieder bei uns bist … du, wir freuen uns alle, wenn du wiederkommst! Bébé will dir zu Ehren ein großes Bordfest geben.«
    »Ich komme nicht mehr zurück!« sagte Vivian laut. »Und dich will ich auch nicht mehr sehen. Nicht jetzt und nicht später. Und nun geh!«
    Sigi Plattner nahm einen Strohhalm in den Mund und sog daran. Er hatte vieles von dieser Überraschung erwartet, aber so etwas nicht. Er hatte zwei Flacons französischen Parfüms bei sich, eine Tafel Schokolade und kandierte Früchte, die Vivian so gerne aß. Stumm packte er die Geschenke aus seinen Taschen und legte sie auf einen gepreßten Strohballen.
    »Nimm alles wieder mit –«, sagte Vivian mit belegter Stimme.
    »Kandierte Orangen, Kaninchen …«
    »Geh –!«
    »Gut. Ich gehe. Aber einen Kuß gibst du mir noch. Nur noch einen … zum Abschied …«
    Vivian v. Rothen zögerte. Ich werde ihn aus meinem Gedächtnis entfernen, dachte sie. Er war die letzte Brücke zu der Welt, die ich nicht mehr sehen will … ich will sie hiermit einreißen.
    Sie kam langsam näher, in ihrem Zögern unheimlich aufreizend. Plattner legte die Hände auf den Rücken und spreizte die Finger vor Erregung. Dann stand sie vor ihm, das schmale, schöne Gesicht vorgestreckt, die schwarzen, glänzenden Locken wie einen Turm hochgesteckt. Das Gesicht einer italienischen Renaissance-Schönheit. Die roten Lippen sagten trocken und rauh: »Du bist mir widerlich –«
    Da griff Sigi Plattner zu, schleuderte Vivian in den Heustapel und warf sich über sie. Die rechte Hand preßte er auf ihren schreienden Mund, und es machte ihm in seiner Gier nichts aus, daß sie ihn in den Handballen biß und der Schmerz in seinem ganzen Arm zitterte.
    »Du Tier!« brüllte sie. »Hilfe! Hilfe!« Sie trat gegen seinen Unterleib. Plattner ächzte und stieß mit dem Kopf an ihr Kinn.
    Dann lag sie still, bewußtlos, von der rohen Gewalt bezwungen. Über Sigi Plattner kam eine wilde, verzweifelte Zärtlichkeit –
    Vivian v. Rothen erzählte niemandem von dieser Begegnung in der Scheune. Als sie aus der Ohnmacht aufwachte, war Sigi Plattner schon längst abgefahren. Parfüm, Schokolade und kandierte Früchte lagen noch auf dem Strohballen. Schwankend ging Vivian zu der hölzernen Box und steckte mit zitternden Fingern die Haare wieder hoch. An ihren Händen war Blut, und als sie über das Gesicht strich, spürte sie unter den Fingern verkrustete Flecken. Sie konnte sich nicht erklären, woher es kam, sie hatte in ihrem Kampf nicht wahrgenommen, daß sie sich in Sigis Hand festgebissen hatte, aber das Blut mußte von ihm stammen, denn wo sie sich auch abtastete, sie fand an ihrem Körper keine Verletzungen.
    Auf dem Hof war es still. Monika wischte mit Elga das Wohnhaus, Fiedje war im Moor, für Vivian war heute der Stall eingeteilt.
    Sie raffte die Geschenke Sigis in die zerrissene Schürze und lief über den Hof zu den Stallungen. Dort warf sie die Parfüms und die Schokolade in die Jauchegrube, bei den kandierten Orangen zögerte sie. Sie riß die Verpackung auf und setzte sich auf die Futterkiste.
    Kandierte Orangen … Erinnerungen tauchten auf, Kindheitsglück, sorglose Tage, Geburtstage, Feiern, Besuche … Und immer kandierte Orangen … sie waren der Inbegriff kindlicher erfüllter Wünsche.
    Sie brachte es trotz allen Hasses auf Plattner nicht übers Herz, auch die Orangen in die Jauche zu werfen. Mit geschlossenen Augen aß sie die Packung leer, und sie wußte, daß sie von diesem Tage an nie mehr diese Süßigkeit essen würde. Es war ein Abschied von der Kindheit und von seligen Erinnerungen.
    Dann wusch sie sich an der Stallpumpe,

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