Mädchen im Moor
spülte das Blut von den Händen und dem Gesicht, zog sich aus und überschüttete ihren schönen, mißhandelten Körper immer wieder mit Eimern Wasser, bis sie fror und zitterte. Der äußere Schmutz war abgespült, was blieb, war der unabwaschbare Dreck der Erniedrigung, mit der sie sich von einer Welt getrennt hatte, die in den Augen der im Schatten Stehenden voll Sonne und Sorglosigkeit war.
Auch zu Monika sprach sie nicht darüber. »Ich bin an einem Haken hängengeblieben«, erklärte sie, als sie abends ihre Schürze flickte. »Ein Glück, daß ich mich nicht verletzt habe …«
Nachts aber konnte sie nicht mehr schlafen. Sie stand am Fenster und blickte über das schwarze Moor, bis die morgendlichen Nebelschleier aus dem Nichts geboren wurden und streifig über das Land wehten.
Zum erstenmal kam ihr der Gedanke, daß es sinnlos sei, zu leben. Ein regelrechter Ekel vor dem Leben packte sie. Es war ein Gefühl, das von Nacht zu Nacht mächtiger in ihr wurde und gegen das es kein Anstemmen gab.
Mit Lotte Marchinski stand es nicht gut.
Immer besoffen, ist zwar auch regelmäßig gelebt, aber mit der Zeit stellte sich heraus, daß die ›Kundschaft‹ auf einer ästhetischen Welle segelte und Lottes Alkoholdunst die zahlungskräftigen Kunden abstieß. Hinzu kam, daß nach Willis Weggang sich keiner fand, der sich als ›Beschützer‹ Lottes anbot, und was ist eine ausgewachsene Profi ohne ihren Zuhälter?! Ein abgehalftertes Pferd, das die Tröge der anderen auslecken darf.
Lotte Marchinski war noch nicht alt genug, um zu resignieren. Mit 36 Jahren ist eine Frau noch in Schwung, und so machte sich Lotte piekfein, kaufte sich statt Schnaps eine Wollstola, leistete sich ein Paar neue Schuhe und Strümpfe und fuhr nach Wildmoor. Ihr Erscheinen hatte sie mit einer Karte angekündigt, die Dr. Schmidt säuberlich in der Akte Marchinski abheftete.
»Ser geerter Herr Dirrektor,
als Muter von Hilde stele ich den Antrag, meine tochter sehen zu dürfen. Ich bin eine arme Wittwe und sene mich nach meine Tochter. Bite, erlauben sie mir, das ich sie sprechen kan. In tifer Dankbarkeit
ire Lotte Marchinski.«
Regierungsrat Dr. Schmidt war selbst gespannt, wie die Mutter Hildes aussehen würde. Bisher kannte er sie nur aus Erzählungen Hildes. »Sie ist ein Luder«, hatte sie einmal freimütig gesagt. »Wenn es jemanden gibt, den ich umbringen könnte, dann ist's meine Mutter! Die hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Mit vierzehn Jahren hat se mir die Männer auf die Bude gebracht. Und als ich nicht wollte, hat se mich blutig geschlagen. Nun bin ich ein Dreckhaufen … aber kann ich dafür? Ohne den Willi wäre ich vielleicht noch mistiger –«
Hilde Marchinski lag noch im Revier von Wildmoor. Sie erholte sich nur mühsam. Ihr Gesicht war spitz und mager geworden, ihr blühender, aufreizender Körper hatte kindliche und an der Brust schlaffe Formen bekommen. Nur ihre leuchtend roten Haare waren noch aufreizend, und der Blick aus ihren graugrünen Augen konnte verlegen machen. Sie lag fast stumm in ihrem Bett, las viel aus der Anstaltsbibliothek, meist Bücher von Ganghofer und Knittel, war ein geduldiger Patient und machte sich im geheimen Sorge, wie das alles später werden würde. Sie hatte nichts gelernt. Ihr einziges Kapital war ihr Körper. Und nun war dieser Körper dort verstümmelt, wo sein interessantester Teil begann. Um die drohende Peritonitis aufzuhalten und die Därme von den Eiterverklebungen zu reinigen, hatte man im Stavenhagener Krankenhaus einen breiten Bauchschnitt machen müssen, um genug Raum zu haben. Zurückbleiben würde eine große Narbe, zuerst rot, dann weiß, mit vielen seitlichen Nähstichen, eine häßliche Narbe, die den schönen, weißen Körper in zwei Teile schnitt. Eine Narbe, die viel von der Illusion wegnahm, in die die Männer selbst bei einem solchen Mädchen für Minuten versanken. Wenn Willi diese Narbe sah, würde er sagen: »Jetzt können wir nur den halben Preis verlangen!« und Hilde wußte, daß sie ihm nach diesem Satz das Gesicht zerkratzen würde.
Die Mitteilung, die Julie Spange ihr überbrachte, löste erst eine Lähmung und dann eine fiebernde Unruhe aus.
»Meine Mutter will mich besuchen?« fragte Hilde. Es war das Unbegreiflichste, was ihr bisher begegnet war. »Das gibt es doch nicht.«
»Sie hat geschrieben.«
»Die kann doch gar nicht schreiben.«
»Auf jeden Fall konnte der Herr Direktor es lesen und hat die Erlaubnis erteilt.«
»Ich will sie aber
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