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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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resignierend. »Ob mit Doktor oder nicht …«
    »Was ist mit Willi?«
    »Er schreibt ihr doch.«
    »Hilde hat seit Weihnachten keine Post mehr bekommen.«
    »Aber er wollte ihr besuchen –«
    »Hier?«
    »Auf'n Lokus nicht!«
    Dr. Schmidt trat nachdenklich ans Fenster und blickte hinüber zum Block 1. War es möglich, daß einige Mädchen trotz der Abgeschiedenheit von Wildmoor doch noch Kontakt mit der Außenwelt unterhielten? War es möglich, daß nachts Treffen stattfanden? Lag hier die Grenze aller Besserungs- und Umerziehungstheorie, die letztlich das ganze Experiment Wildmoor zum Scheitern bringen mußte? War er gezwungen, Mädchen wie Hilde Marchinski und Käthe Wollop wieder zurückzuversetzen in die normale Strafanstalt? Er wehrte sich trotz aller Gründe, es zu tun, innerlich dagegen. Der Einfluß von Wildmoor, und wenn er noch so gering war, konnte einen Funken Selbstmoral erwecken … in einer normalen Strafanstalt saß man stur seine Monate oder Jahre ab, führte einen stillen Krieg gegen die Beamten, beugte sich den Korruptionen der Kalfaktoren und lernte man Dinge hinzu, die in keinem Gebetbuch standen. Das Reifezeugnis des Verbrechens kann man nirgendwo besser und sicherer erwerben als in einer Strafanstalt. Sie sind die Universitäten der Ganoven.
    Das alles schaltete in Wildmoor aus. Hier war man eine große Familie … und wie es in jeder Familie gefügige und aufsässige Kinder gibt, so mußte man auch eine Marchinski oder Wollop ertragen und versuchen, sie in die Gemeinschaft einzugliedern, so gut es ging.
    Lotte räkelte sich in dem Ledersessel und suchte in ihrer Handtasche nach Zigaretten. Sie fand keine, aber eine flache Flasche Kognak war da. Mit schnellen Fingern schraubte sie den Verschluß auf, setzte die Flasche an den Mund und nahm drei tiefe Schlucke. Dann verschwand die Flasche wieder in der Handtasche. Sind doch blöde Hunde, die Bullen, dachte Lotte zufrieden.
    »Kann ich gehen?« fragte sie sanft.
    »Ja.«
    »Wiederkommen werde ich nicht.«
    »Es wäre auch sinnlos.«
    »Passen Sie auf die Hilde auf, mehr sag ich nicht.« Lotte Marchinski zog die nachgemalten Augenbrauen hoch. Es sollte ein hochmütiger Ausdruck werden. »Ich weiß, was Sie mit Ihrer Anstalt vorhaben … bei Hilde ist das Blödsinn. Auf die Idee, uns bessern zu wollen, können nur Menschen wie Sie kommen! Was wissen Sie denn von uns, he? Glauben Sie, 'ne Gosse wäre keine Gosse mehr, wenn Sie Parfüm reinschütten?! Es stinkt nur anders, weiter nichts. Wir sind im Hinterhof geboren, und als wir laufen konnten, standen wir für unsern Ollen schon Schmiere an der Ecke und pfiffen auf de Finger, wenn die Polente kam. Und mit dem ersten Haar unterm Arm kamen auch die Männer … von wegen fuffzehn und Staatsanwalt, das war doch alles wurscht! Geld verdienen, wie, ist egal … morgens in der Schule, nachmittags auf Klautour, abends Gymnastik im Bett … Glauben Sie, daß Sie das mit frommen Gesängen aus uns wieder rausholen? Das ist einjewachsen, Herr Doktor, und das stirbt erst ab, wenn wir selbst verfaulen. Guten Tag –«
    Dr. Schmidt schwieg. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und stützte den Kopf in beide Hände. Sein Ideal, in jedem Menschen stecke ein guter Kern, hatte einen Knacks bekommen.
    Man muß sich mehr um diese schwierigen Fälle kümmern, dachte er. Die Willigen entwickeln sich von allein. Aber Menschen wie Hilde Marchinski und Käthe Wollop bedürfen einer ständigen Seelenmassage. Sie müssen immer und überall das Bewußtsein haben, gebraucht zu werden, nützlich zu sein, als Persönlichkeit geachtet zu werden. Man muß ihnen die eigene Achtung vor sich selbst und ihrem Körper wiedergeben. Sie müssen sich selbst lieben lernen, um davor zurückzuschrecken, sich billig zu verschenken.
    An diesem Abend erlebten Hilde Marchinski und Käthe Wollop eine große Überraschung.
    Hilde wurde als Hausmädchen für den Direktor abgestellt, Käthe als Hilfe für den Anstaltsarzt Dr. Röhrig.
    Die Reaktion war verschieden.
    Hilde Marchinski sagte wieder »Mist!« und stellte sich verbissen schlafend, Käthe Wollop lächelte still und strich sich über die Hüften. Der Doktor ist ein junger Arzt, dachte sie. Und ich bin 17 und schön gebaut. Ich werde ihm eine gute Hilfe sein.
    Dr. Röhrig war gar nicht begeistert von dem Plan seines Freundes. Die Verantwortung war ihm zu groß. Er weigerte sich, sie zu übernehmen.
    Dr. Schmidt versuchte, ihn zu überzeugen. »In der ersten Zeit wird es schwer sein«,

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