Mädchen im Moor
schnell fertig. Und bißchen Staub auf ihr Haupt – und sie ersticken daran!« Der Wortführer rieb sich die Hände. »Und nun los, Jungs … Aufnahmen von außen, rundherum … vielleicht kriegen wir noch 'n paar Mädchen vor die Linse … dann das Moor, später Bauern beim Torfstechen … zu Hause machen wir eine Montage, Mädchen und Bauern im Moor … Kinder, und da fällt mir eine tolle Unterschrift ein! Hört mal zu: ›Offene Anstalt ist kein öffentliches Haus‹ … Das haut den Opa von der Ofenbank! Und dem geschniegelten Herrn Regierungsrat kneifen wir mal in den Hintern –«
Über einen Tag hielten sich die Reporter um Wildmoor herum auf. Sie jubelten, als sie die zurückkehrenden Kolonnen der Außenkommandos fotografieren konnten.
›Fronarbeit für Wassersuppe‹ das war der nächste Titel, den sie ausknobelten. Und als dritten Knüller: ›Sex im Moor … von unseren Steuern!‹
Das Unheil war nicht mehr aufzuhalten, auch nicht durch die Meldung, die Dr. Schmidt zum Ministerium schickte, gewissermaßen als Warnung und schonende Vorbereitung. Die Meldung kam auf den Schreibtisch von Ministerialdirektor Bernhard Fugger.
»Da haben wir's!« rief er und schlug mit der Faust auf die Meldung aus Wildmoor. »Habe ich diesem Dr. Schmidt nicht immer gesagt, er soll die Öffentlichkeit aus dem Spiel lassen?! Nun haben wir den Teufelssalat –«
Mit Hilde Marchinski war seit dem Besuch ihrer Mutter eine deutliche Wandlung vorgegangen.
Sie lag jetzt still im Bett des Krankenreviers, aß kaum, las nicht mehr, sondern starrte apathisch an die Decke. Dr. Röhrig versuchte vergeblich, ein Gespräch mit ihr anzufangen … sie drehte den Kopf weg, drückte das Gesicht in das Kissen und weinte.
Auch Dr. Schmidt saß öfter an ihrem Bett. »Du mußt Vertrauen zu mir haben, Hilde«, sagte er eindringlich. »Du weißt, daß du mir alles sagen kannst. Ich bin nicht nur dein Anstaltsdirektor, sondern auch dein Freund. Ich will dir doch helfen. Was ist es denn?«
»Nichts, Herr Direktor.« Eine müde Antwort, ein Wegdrehen des Kopfes zur Wand. Verbissenheit, Starrheit, ein Sichabschließen.
Es muß wegen Willi sein, dachte Dr. Schmidt. Sie waren gleich in Streit geraten, als der Name fiel, und Mutter und Tochter waren aufeinander losgefahren wie zwei Hyänen, die sich um ein Stück Aas zanken. Und wieder sah er, was ihm Lotte Marchinski so überdeutlich ins Gesicht gesagt hatte: In der Gosse herrschen andere Gesetze … dort kann ein Zuhälter mehr sein als die ganze Moral der Menschheit.
In den Nächten lag Hilde ebenso wach wie Vivian v. Rothen in der Moorkate Fiedje Heckroths. Nur waren ihre Gedanken bereits realer und fester umrissen. Während Vivian noch mit sich rang, das Leben auskotzenswert zu finden, hatte Hilde bereits das Stadium des Ekels erreicht.
Was erwartete sie, wenn sie in zwei Jahren oder früher, wenn der Pfarrer für sie sprach, aus Wildmoor entlassen wurde? Es war gar keine Frage mehr … es war eine nüchterne Aufzählung von Tatsachen: Willi, der weiter faulenzte und sie auf die Straße schicken würde, eine Mutter, die voll Haß war und sich darum riß, Willi in die Bude zu bekommen, um den Traum von Jugend noch einmal durchzuträumen, bis das Fleisch von ihren ausgezehrten Knochen fiel. Eine Welt, sumpfiger als das Moor, das sie jetzt umgab. Vor allem aber keine Möglichkeit, dieser Welt zu entfliehen, denn wohin sie auch immer kommen würde – sie blieb die rote Hilde, das Flittchen mit den besten Preisen. Was nützte es, daß sie in Wildmoor kochen und nähen lernte, daß sie Thron richtig mit th schreiben konnte und Rhododendron mit Rh, daß sie wußte, wo Caracas lag und Bismarck kein Hering, sondern ein Staatsmann war? Was blieb übrig von drei Jahren Unterricht, von dem Willen, den Kopf aus der Jauche zu stecken und reiner zu atmen?
Eines Tages würde sie wieder auf der Straße stehen, als Entlassene, und wenn es hoch kam, holte Willi sie ab, aber sicher war das nicht. Sie hatte kein Zuhause, kein Zimmer, nicht einmal ein eigenes Bett. Sie hatte einen Koffer in der Hand, das war ihr ganzes Besitztum. Und sie hatte einen schönen, weißhäutigen Körper und herrliche, kupferrote Haare. Das war ein Kapital … nicht drei Jahre Lehre, wie man ein Kleid näht oder Prozente ausrechnet, wieviel Salzgehalt das Mittelmeer hat oder wie hoch der Gaurisankar ist. Und so würde vom neuen Leben wieder nur der alte Schmutz übrigbleiben, das Verkaufen der eigenen Glieder und das Wiederversinken
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