Mädchen im Schnee
gehörten, aber wenn sie die Kamera rausholte, hatten sie es alle plötzlich eilig und entschuldigten sich nur noch im Weglaufen.
Magdalenas frisch geföhnte Frisur war unter der Mütze platt gedrückt, und die Zehen taten ihr vom Frost weh. Zweimal hatte sie in die Redaktion zurückgehen und sich aufwärmen müssen.
Vor dem Geldautomaten auf der anderen Straßenseite stand ein Mann in weißen, farbfleckigen Arbeitshosen und blauer Jacke. Sie lief auf die andere Seite hinüber und legte ihr sonnigstes Profilächeln auf.
»Entschuldigen Sie bitte«, sprach sie den Rücken an. »Ich komme von …«
Als der Mann sich umdrehte, verschlug es ihr die Sprache.
Petter.
»Hallo«, sagte er, nahm die Scheine aus dem Geldautomaten und steckte sie in seine Brieftasche. »Lange nicht gesehen.«
»Ja, doch. Das ist … Das ist wahr. Ich mache gerade eine Befragung. Für das VB . Ich arbeite jetzt wieder da.«
»Ich weiß.«
Petter sah ihr direkt in die Augen, und Magdalena schluckte. Das braune, schulterlange Haar, das unter der Mütze herausschaute, war lockig wie immer. Die Augen ganz genauso grün, wie sie sie in Erinnerung hatte.
»Äh, könntest du dir vorstellen, darauf zu antworten? Also, ich meine, auf die Frage?«
»Das hängt davon ab, ob es was Kompliziertes ist«, sagte Petter, während er die Brieftasche in eine Seitentasche der Arbeitshose schob.
»Nein, nein, es ist überhaupt nicht kompliziert. Es geht um Windbeutel. Und ob du dieses Jahr schon einen gegessen hast.«
Magdalena merkte, wie sie rot wurde. Was war das eigentlich für eine dämliche Frage?
»In dem Fall lautet meine Antwort: ›Nein, das habe ich leider nicht.‹«
Magdalena blätterte mit steifen Fingern eine neue Seite im Notizblock auf und war dankbar, dass sie etwas hatte, worauf sie den Blick konzentrieren konnte. Aber der Filzschreiber streikte. Ganz gleich, wie viele Kreise sie ins Papier kratzte, es kam keine Tinte.
Das gehörte mit zum Ersten, was sie in der Ausbildung gelernt hatte, wie wichtig es war, bei kaltem Wetter einen Bleistift dabeizuhaben. Aber in keiner der Redaktionen, in denen sie bisher gearbeitet hatte, hatte es Bleistifte im Lager gegeben.
»Mist!«, zischte sie.
»Nimm den hier«, sagte Petter und hielt ihr einen roten Zimmermannsbleistift hin, den er aus einer seiner Taschen hervorgeholt hatte.
»Danke«, sagte Magdalena und nahm den Stift. »Also, deinen Namen, den kenne ich ja. Und das Alter. Zweiundvierzig, oder?«
Petter nickte.
Wie lange war das her? Zwölf Jahre? Dreizehn?
»Wohnort?«, fragte sie und merkte, wie ihre Wangen heiß wurden.
Bloß nicht rot werden. Das ist doch langsam lächerlich.
»Sunnemo.«
»Jetzt noch den Beruf, dann ist das Verhör beendet.«
»Maler«, sagte Petter und zeigte mit dem Daumen auf einen weißen Lieferwagen mit der Aufschrift »Ahlbom – Maler und Maurer«, der vor dem Schuhgeschäft geparkt war.
»Jetzt muss ich nur noch ein Bild machen«, sagte Magdalena, legte den Block in die Tasche und gab Petter den Stift zurück.
»Behalt ihn ruhig, vielleicht musst du ja noch mehr Leute befragen.«
»Ich bin jetzt fertig. Aber trotzdem vielen Dank.«
Petter steckte den Stift zurück, während Magdalena die Kamera aus der Tasche angelte. Wenn die nur nicht auch noch gegen die Kälte protestierte.
Petter sah sie an, während sie den Autofokus auspro bierte. Doch, die schien besser mit den Temperaturen klarzukommen.
»Muss man lächeln?«
»Das kannst du machen, wie du willst.«
Sie machte in rascher Folge ein paar Bilder, wählte dann das beste aus und zeigte ihm das Display.
»So sieht’s aus. Ist das in Ordnung?«
Petter beugte sich vor und sah auf das kleine Viereck.
»Tja, das muss wohl reichen. Schöner wird’s nicht werden, leider.«
Magdalena steckte die Kamera in die Tasche zurück.
»Gut, dann musst du morgen mal in die Zeitung schauen.« Sie merkte, wie ihr Blick flackerte und die eine Hand hochfuhr, um die Mütze zurechtzurücken. »Danke, dass du dir die Zeit genommen hast.«
»Keine Ursache. War schön dich zu sehen! Lange her, wie gesagt.«
»Okay, ich muss los«, sagte Magdalena. »Die Pflicht ruft.«
»Verstehe. Geh rein und wärm dich auf – du siehst verfroren aus.«
Magdalena machte kehrt, eilte über die Straße in Richtung Café und dann weiter auf den Parkplatz zwischen Kyrkogatan und Köpmangatan. Jetzt hatte sie kein Gefühl mehr in den Zehen.
»Mein Gott«, murmelte sie. » Die Pflicht ruft? Wie peinlich.«
Warum fing sie
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