Mädchen im Schnee
es, und so sollte es sein.
»Ich muss dich sehen können«, sagte Petter und stopfte seine Handschuhe in die Taschen.
Dann legte er die Hände auf ihre Wangen, strich vorsichtig mit den Daumen über die Augenbrauen, die Schläfen und streichelte ihr Haar.
»Du weinst ja«, sagte Petter und zog sie wieder an sich.
Magdalena schloss die Augen, sog seinen Duft ein und wollte in der Umarmung verweilen.
»Ich halte das nicht aus, noch einmal im Stich gelassen zu werden«, flüsterte sie. »Dann gehe ich kaputt.«
Roy hatte wie immer in der Scooterspur die Führung übernommen, seine gekringelte Rute wackelte hin und her. Petra hatte gehofft, dass ein langer Spaziergang sie auf andere Gedanken bringen würde. Nellie hatte den ganzen Vormittag nichts von sich hören lassen, und sie begann, sich langsam richtig Sorgen zu machen. Das sah Nellie so gar nicht ähnlich.
Es wäre viel logischer gewesen, wenn Hannes sein Handy verloren oder das Ladegerät vergessen hätte. Er hatte schon immer den Kopf ein bisschen in den Wolken, wie Lasse zu sagen pflegte. Er war nicht bewusst schlampig, sondern unkonzentriert und etwas zerstreut. Zudem war er wirklich vom Unglück verfolgt, schon seit frühester Kindheit litt er an Asthma. Dann kamen die Eiweißallergie dazu und das Ekzem, das jeden Abend und jeden Morgen eingecremt werden musste. Eine Zeit lang hatten sie befürchtet, dass er auch eine Tierhaarallergie habe, doch das hatte sich zum Glück nicht bestätigt. Lasse hatte es sehr bedauert, dass die Hockeykarriere des Sohnes schon nach kurzer Zeit ein Ende fand; er hatte dieses Bedauern aber tapfer verborgen, auch als er feststellte, dass sein Talent zum Skilaufen definitiv nicht vererbt worden war, ebenso wenig wie irgendeine Form von Wettkampfgeist.
Obwohl er in den letzten Jahren ein paar Freunde um sich geschart hatte, schien er doch immer noch am liebsten allein mit seiner Gitarre dazusitzen. Niemand wusste, von wem er das Interesse für Musik geerbt hatte.
Nein, Nellie war immer ganz anders gewesen, dachte Petra, von Anfang an so selbstbewusst und selbstischer, immer überzeugt davon, dass die Welt ihr nur Gutes wollte.
Roy lief im Zickzack vor ihr her, er schien die Witterung eines Tieres aufgenommen zu haben. Einige Meter vor ihnen kreuzte tatsächlich die Fährte eines Elchs die Scooterspur. Petra packte das Lederhalsband mit beiden Händen und hielt den Hund fest.
»Nein, Roy, damit musst du noch bis zum Herbst warten, jetzt komm«, sagte sie und zog den bellenden Hund mit sich.
Als Roy wieder ruhig geworden war, versuchte Petra, die Stille und den Sonnenschein zu genießen, aber die Sorge ließ ihr keine Ruhe und pochte in ihrer Brust.
Bald wird Nellie aufwachen und merken, dass das Handy keinen Strom mehr hat, und dann wird sie anrufen, und es wird ein ganz gewöhnlicher Samstag wie immer, dachte Petra. Sie wird müde sein und ein bisschen lässig und verärgert klingen, das weiß ich schon, aber darüber werde ich hinwegsehen. Und dann, wenn sie merkt, dass ich nicht böse bin und ihr zuhöre, wird sie einlenken und mir erzählen, was sie gestern Abend gemacht hat.
Dann nahm Petra noch einmal das Handy aus der Jackentasche und rief, ohne zu wissen zum wievielten Mal, Nellie an. Das Telefon war immer noch abgeschaltet.
»Liebe, süße Nellie, lass doch von dir hören.«
Auf der obersten Stufe klopfte Petra den Schnee von ihren Stiefeln, dann machte sie die Tür auf. Eigentlich wollte sie gar nicht reingehen, aber es war immer kälter geworden, und sowohl Roy als auch sie selbst waren nach der zweistündigen Wanderung müde.
Sie machte Roys Halsband los. Er schüttelte sich und verschwand in der Küche, um zu trinken. Die Leine hängte sie an den Haken neben der Tür.
»Das war schön, nicht?«, sagte sie zu dem Hund, der wieder zurückkam und sich auf seinem braunen Fell in der Ecke zusammenrollte.
Roy antwortete mit einem zufriedenen Seufzer und schloss die Augen.
Lasse saß am Küchentisch und las das Aftonbladet . Petra ging zu ihm und massierte seine Schultern.
»Ist draußen in der Welt etwas geschehen?«, fragte sie und steckte das verwaschene Schild, das aus seinem T-Shirt schaute, zurück in den Kragen.
Lasse brummte ein »Nein, nicht wirklich« und blätterte um.
»Nellie hat nicht zufällig angerufen, oder?«, fragte Petra, so beiläufig sie konnte.
Lasse schüttelte den Kopf.
Er sagt nicht, dass ich mir keine Gedanken machen soll, dachte Petra. Jetzt ist er also auch besorgt, aber er
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