Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Spark
Vom Netzwerk:
Was ist denn los mit dir?»
    «Ich habe geruht.»
    «Geschlafen?»
    «Nein, geruht. Ich bin gerade von einem Psychiater zurückgekommen. Er sagt, ich soll mich nach jeder Sitzung ausruhen.»
    «Ich dachte, du bist fertig mit dem Psychiater? Geht es dir wieder schlechter?»
    «Das ist jetzt ein anderer. Mami hat ihn ausfindig gemacht. Er ist fabelhaft.»
    «Also, ich wollte dir nur rasch erzählen, hörst du auch zu? Erinnerst du dich noch an Nicholas Farringdon?»
    «Nein, ich glaube nicht. Wer ist das?»
    «Nicholas … erinnere dich doch an das letzte Mal damals auf dem Dach des May of Teck … Haiti, in einer Hütte … unter Palmen … es war Markttag, alle waren auf dem Marktplatz. Hörst du zu?»
     
     
     
    Wir sind wieder im Sommer 1945, als er nicht allein in den gesamten May of Teck Club als ästhetische und moralische, zum lieblichen Bilde erstarrte Vorstellung verliebt war, sondern in Kürze auch mit Selina auf dem Dach schlief.
     
    Es schaun auf Marathon die Höhn,
    Und Marathon schaut nach dem Meere:
    Dort glaubt’ ich träumend einst zu sehn,
    Daß frei noch einmal Hellas wäre,
    Denn auf der Perser Leichensteinen
    Könnt’ ich mir selbst kein Sklave scheinen.
    ‹Joanna muß das Leben genauer kennenlernen› dachte Nicholas, als er an einem bestimmten Abend in der Halle herumlungerte. Aber wenn sie das Leben genauer kennen würde, dann könnte sie diese Verse womöglich nicht so sexy und zugleich auf eine so matriarchalische Weise verkünden, so als gebe sie sich ekstatisch dem Vorgang hin, ein göttliches Kind zu stillen.
     
    Unterm Dachfirst, da liegen die Äpfel in
    Reih’n …
     
    Sie rezitierte immer weiter, während er sich in der Halle aufhielt. Er war allein. Alle hatten sich anderswo versammelt, im Salon, in den Schlafräumen, saßen am Radio und versuchten irgendein bestimmtes Programm zu bekommen. Dann dröhnte zuerst ein Lautsprecher und dann ein anderer lauter als sonst von den oberen Stockwerken herunter, andere fielen in den Chor ein, bis die Stimme Winston Churchills das Getöse rechtfertigte. Joanna unterbrach sich. Die Lautsprecher verkündeten alle gleichzeitig in düsteren Prophetien, welches Schicksal die freiheitliebende Wählerschaft erwarte, wenn sie in den bevorstehenden Wahlen Labour wählte. Plötzlich begannen die Lautsprecher ganz bescheiden Gründe dafür anzuführen:
     
    «Wir werden Beamte haben …»
     
    Und dann änderten sie den Ton und brüllten:
     
    « … nie mehr Staats …»
     
    Nun wurden sie wieder traurig und getragen:
     
    «Nie mehr …
     … Beamte.»
     
    Nicholas stellte sich vor, wie Joanna neben ihrem so zweckentfremdeten Bett stand und lauschend die Worte in ihren Blutkreislauf aufnahm. So, als träume er einen Traum Joannas, sah er sie vor sich, wie sie unbeweglich dastand, dem Klang des Lautsprechers hingegeben, als sei es gleich, wer sie hervorbrachte – der Politiker oder sie selbst. In seiner Vorstellung wurde sie zur proklamierenden Statue.
    Ein Mädchen in einem langen Abendkleid glitt verstohlen durch den Vorraum der Halle. Ihr Haar fiel in braunen Locken auf ihre Schultern. Der ein wenig zerstreute Geist des müßig wartenden und lauschenden Mannes nahm wahr, daß ein Mädchen verstohlen durch die Halle glitt; ohne daß sie es wollte, gewann sie Bedeutung für ihn.
    Es war Pauline Fox. Sie kehrte von einer Taxifahrt für acht Shilling rund um den Park zurück. Sie war ins Taxi gestiegen und hatte dem Fahrer gesagt, er solle nur irgendwo immer im Kreise fahren, einfach nur fahren. Bei solchen Gelegenheiten vermuteten die Taxichauffeure zunächst immer, daß sie darauf aus sei, sich einen Mann zu angeln. Während aber dann das Taxi den Park umkreiste und der Zähler stieg, kam ihnen der Verdacht, sie sei entweder verrückt oder vielleicht sogar ein Mitglied jener ausländischen Königsfamilien, die immer noch im Londoner Exil weilten. Und wenn sie dann wieder dahin zurückgefahren zu werden wünschte, wohin sie durch vorherigen Anruf das Taxi bestellt hatte, kamen sie unweigerlich zu einem der beiden Schlüsse. Es war das Dinner mit Jack Buchanan, das – an dieser Idee hielt Pauline unerschütterlich fest – alle im May of Teck Club als gegebene Tatsache anzusehen hatten. Am Tage arbeitete sie in einem Büro und war ganz normal. Dieses Dinner mit Jack Buchanan hinderte sie daran, mit irgendeinem anderen Mann zu dinieren und veranlaßte sie, eine halbe Stunde in der Halle zu warten, bis alle übrigen Mitglieder im Speisesaal waren

Weitere Kostenlose Bücher