Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
ich eine Wohnung gefunden habe.»
Tatsächlich war er ganz zufrieden mit seinem kargen Schlafzimmer. Mit dem unbekümmerten Ehrgeiz eines Idealisten steigerte er sich in seiner Leidenschaft für Selina in den Wunsch hinein, daß auch sie die Grundsätze der Armut für ihr Leben akzeptieren und es danach einrichten solle. Er liebte Selina so, wie er sein Vaterland liebte. Er wollte in ihrer zarten Körperstruktur gewissermaßen die ideale Gesellschaft personifiziert sehen, er wollte, daß ihre schönen Glieder ihrem Verstand und ihrem Herzen ebenso gehorchten, als seien sie intelligente Männer und Frauen, und er wollte umgekehrt, daß Geist und Herz ebenso anmutig und schön sein sollten wie ihr Körper.
Verglichen damit waren Selinas Wünsche in diesem Augenblick recht bescheiden: sie wollte nur ein Päckchen Haarklammern, die gerade seit ein paar Wochen aus den Geschäften verschwunden waren.
Es war gewiß nicht das erste Mal, daß ein Mann mit einem Mädchen ins Bett ging in der Absicht, ihre Seele zu verwandeln, aber Nicholas spürte zu seiner großen und schmerzlichen Verzweiflung, daß sich Selinas Seele nur im Bett zeigte, und er wollte mit aller Gewalt ihr soziales Bewußtsein wachrütteln. Danach seufzte er leise in sein Kissen – in dem etwas schlaffen Gefühl, sein Ziel erreicht zu haben –, und schon beim Aufstehen stellte er zu seiner noch größeren Verzweiflung fest, daß er seine Vorstellung von Vollkommenheit auch nicht im mindesten dem Mädchen vermittelt hatte. Sie saß auf dem Bett und blickte unter ihren Wimpern hervor um sich. Er hatte einige Erfahrungen mit Mädchen, die auf seiner Bettkante saßen, aber nicht mit Mädchen, die ihrer eigenen ungewöhnlichen Schönheit gegenüber so kühl blieben wie Selina. Er konnte es einfach nicht glauben, daß sie den Sinn für die lieblichen Attribute der Besitzlosigkeit und Armut nicht mit ihm teilte, da doch ihr Körper so herb und ökonomisch ausgestattet war.
«Ich kann nicht verstehen, wie du hier leben kannst, es ist wie in einer Zelle. Kochst du auf dem Ding da?» sagte sie. Sie meinte den Gaskocher.
«Ja, sicher», antwortete er, während es ihm dämmerte, daß nur er in seiner Beziehung zu Selina eine Liebesaffäre sah. «Möchtest du gern Eier mit Speck?»
«Ja», sagte sie und begann sich anzuziehen. Er schöpfte wieder Hoffnung und brachte seine Rationen zum Vorschein. Sie war an Männer, die sich auf dem Schwarzmarkt versorgten, gewöhnt.
«Nach dem zweiundzwanzigsten kriegen wir 75 Gramm Tee – 60 Gramm Tee in der einen Woche und 90 Gramm in der darauffolgenden.»
«Wieviel kriegen wir denn jetzt?»
«60 Gramm die Woche. 60 Gramm Butter; 120 Gramm Margarine.»
Das amüsierte sie. Sie lachte eine ganze Weile. «Das klingt so komisch bei dir.»
«Weiß der Teufel, das stimmt!»
«Hast du schon all deine Kleiderabschnitte verbraucht?»
«Nein, ich habe noch vierunddreißig übrig.» Er wendete den Speck in der Pfanne und sagte dann, einer plötzlichen Eingebung folgend: «Möchtest du ein paar Kleiderabschnitte haben?»
«O ja, bitte!»
Er gab ihr zwanzig, aß etwas Speck mit ihr und brachte sie im Taxi nach Hause.
«Was das Dach angeht, so habe ich alles arrangiert», sagte er.
«Na, dann sieh mal zu, daß du auch das Wetter arrangierst.»
«Wenn’s regnet, können wir ins Kino gehen», sagte er.
Da er in einem anderen Teil Londons für den amerikanischen Nachrichtendienst arbeitete, hatte er sich durch das oberste Stockwerk des Hotels nebenan, in dem diese Organisation untergebracht war, Zugang zum Dach verschaffen können. Oberst Dobell, der noch vor zehn Tagen gegen ein solches Unternehmen gewesen wäre, unterstützte ihn jetzt energisch. Das lag daran, daß seine Frau Gareth im Begriff war, zu ihm nach London zu kommen, und er ängstlich bemüht war, Selina, wie er es ausdrückte, einen anderen Rahmen zu geben.
Hoch oben, im Norden Kaliforniens, hatte Mrs. G. Felix Dobell nicht nur residiert, sondern auch die Zusammenkünfte der Moralwarte dirigiert. Jetzt war sie auf dem Wege nach London, denn ein sechster Sinn sagte ihr – wie sie meinte –, daß Felix ihrer Gegenwart dringend bedürfe.
Bald schläft das rosenrote Blatt, und bald das weiße.
Nicholas hatte das glühende Verlangen, mit Selina auf dem Dach zu schlafen, es mußte unbedingt auf dem Dach sein. Er arrangierte alles so umsichtig wie ein geübter Brandstifter.
Das flache Dach des Clubs, das nur durch den Fensterspalt auf dem obersten
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