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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Spark
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zeigte ihre verschiedenen Spezialitäten vor, seltene Pflanzen, die sie aus gestohlenen Ablegern gezogen hatte. Ableger waren das einzige, was Greggie sich je in der Lage sah, zu stehlen. Sie prahlte wie eine richtige Gartenfanatikerin mit ihren Diebstählen und den Schlichen, durch die sie zu Schößlingen seltener Pflanzen anderer Leute gekommen war. Aus Joannas Zimmer tönte die erhobene Stimme ihrer Nachmittagsschülerin.
    «Heute kommt die Stimme von da oben», bemerkte Nicholas, «neulich kam sie aus dem Erdgeschoß.»
    «Sie benutzt an Wochenenden, wenn der Aufenthaltsraum sehr voll ist, ihr eigenes Zimmer. Wir sind sehr stolz auf Joanna.»
    Auf die Stimme der Schülerin folgte die Joannas.
    «Dieser Holunder dürfte da gar nicht stehen», sagte Greggie. «Dort ist die Bombe niedergegangen, sie hat nur eben das Haus verfehlt.»
    «Waren Sie damals im Hause?» fragte Felix.
    «Ja», sagte Greggie. «Ich lag im Bett. Und im nächsten Augenblick lag ich auf dem Fußboden. Alle Fenster waren zerbrochen. Ich habe den Verdacht, daß noch eine zweite Bombe heruntergekommen ist, die nicht explodierte. Ich sah sie fallen, als ich mich vom Boden aufrichtete. Aber das Räumkommando hat nur die eine Bombe gefunden und entfernt. Nun, gleichviel, wenn da noch eine zweite Bombe war, muß sie inzwischen eines natürlichen Todes gestorben sein, denn ich spreche vom Jahr 1942.»
    «Meine Frau Gareth hat die Absicht, mit der UNRRA herüberzukommen», bemerkte Felix, wie so oft ohne jeglichen Zusammenhang, «Vielleicht könnte sie für eine oder zwei Wochen bei Ihnen im Club wohnen? Ich bin viel unterwegs, sie würde sich sonst in London einsam fühlen.»
    «Sie müßte rechts unter den Hortensien gelegen haben, wenn ich mich nicht irre», meinte Greggie.
     
    Des Glaubens Meer,
    Wie voll und rund einst um der Erde Küsten,
    Wie lag’s als hellgeschlungen Band.
    Doch jetzt nur hör’ ich
    Schwermutsvoll verebbend sein Gebrüll,
    Ersterbend in des Nachtwinds Hauch,
    Hinab die düster öden Ufer,
    Hinab den nackten Strand der Welt.
     
    «Ich glaube, wir müßten uns langsam nach Richmond aufmachen», sagte Felix.
    «Wir sind ungeheuer stolz auf Joanna», meinte Greggie.
    «Sie liest sehr gut.»
    «Aber nein, sie rezitiert alles aus dem Gedächtnis. Aber ihre Schüler lesen natürlich ab. Sie gibt Rezitationsunterricht.»
    Selina streifte anmutig etwas Gartenerde von ihren Keilabsätzen an der Steintreppe ab, und die ganze Gesellschaft kehrte ins Haus zurück.
    Die Mädchen gingen hinauf, um sich fertigzumachen, die Männer verschwanden in dem dunklen kleinen Garderobenraum unten.
    «Das ist ein schönes Gedicht», sagte Felix, denn Joannas Stimme war auch hier zu hören, und die Unterrichtsstunde war inzwischen zu ‹Kubla Khan› vorgeschritten.
    ‹Ihr Gefühl für Dichtung hat etwas Orgiastisches›, hätte Nicholas beinahe gesagt. ‹Ich höre es an ihrer Stimme.› Aber er hielt sich zurück, denn womöglich hätte der Oberst gesagt: ‹Ach, wirklich?› und er, Nicholas, hätte dann wiederum hinzugefügt: ‹Poesie ist bei ihr Ersatz für Sex, scheint mir.› – ‹Ach, wirklich? Ich fand, sie sieht sehr sexy aus.›
    Diese Unterhaltung fand, wie gesagt, nicht statt, aber Nicholas nahm sich vor, sie in seinem Notizbuch festzuhalten. Sie warteten in der Halle, bis die Mädchen herunterkamen. Nicholas las die Bekanntmachungen am Anschlagbrett, wo gebrauchte Kleider zum Kauf oder im Tausch gegen Kleiderabschnitte angeboten wurden. Felix hielt sich zurück, er wollte nicht derart in die Privatangelegenheiten der Mädchen eindringen, aber er war voller Nachsicht für die Neugier des anderen.
    «Da kommen sie», sagte er.
    Die Zahl und Vielfalt gedämpfter Geräusche war beachtlich. Hinter den Türen des Schlafsaals im ersten Stock wurde gelacht. Im Keller schüttete irgend jemand, der den grünen Tuchvorhang offen gelassen hatte, Kohlen auf. Das Telefon im Büro klingelte fern, aber schrill, und entsprechende Summtöne auf den einzelnen Fluren riefen die Mädchen zu Freunden ans Telefon. Die Sonne brach durch die Wolken, wie die Wettermeldung es vorhergesagt hatte.
     
    Schließt dreimal rings um ihn den Kreis,
    Und schließt die Augen scheu, entsetzt,
    Denn ihn hat Honigtau genetzt,
    Und er trank Milch des Paradeis.
     

 
     
     
     
     
     
    6
     
     
    «Lieber Dylan Thomas», schrieb Jane.
    Eine Treppe tiefer versuchte Nancy Riddle, die inzwischen ihre Rezitationsstunde beendet hatte, mit Joanna Childe die gemeinsamen

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