Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
Trostlosigkeit zu versinken. Sie war wieder einmal vom Leben enttäuscht.
«Ich will dir noch etwas anderes sagen», sagte Nicholas. «Ich bin auch ein Gauner. Warum weinst du denn?»
«Ich weine über mich», sagte Jane, «ich werde mich nach einer anderen Arbeit umsehen.»
«Willst du einen Brief für mich schreiben?»
«Was für einen Brief?»
«Einen Gaunerbrief. Von Charles Morgan an mich. ‹Sehr geehrter Mr. Farringdon, als ich Ihr Manuskript erhielt, war ich zunächst versucht, es beiseite zu legen und mit einer höflichen Entschuldigung durch meine Sekretärin an Sie zurückzuschicken. Aber ein glücklicher Zufall wollte es, daß ich, ehe ich Ihre Arbeit meiner Sekretärin übergab, darin blätterte und mein Blick fiel auf…›»
«Fiel auf was?» fragte Jane.
«Das möchte ich dir überlassen. Nur wähle möglichst die dichtesten und brillantesten Passagen aus, wenn du den Brief schreibst. Ich gebe zu, das wird schwierig sein, da sie alle brillant sind. Aber wähle die Stelle aus, die dir am besten gefällt. Charles Morgan muß in dem Brief ausdrücken, daß er zunächst diese Stelle und dann begierig das Ganze von Anfang bis zu Ende las. Er muß feststellen, daß es ein geniales Werk ist. Verstehst du, er beglückwünscht mich dazu, ein geniales Werk geschaffen zu haben. Dann zeige ich den Brief George.»
Janes Leben trieb wieder Schößlinge voll grüner Hoffnungen. Sie besann sich darauf, daß sie erst dreiundzwanzig war und lächelte.
«Dann zeige ich George den Brief», fuhr Nicholas fort, «und sage ihm, er könne seinen Vertrag behalten, und –»
Da kam George herein. Er sah geschäftig von einem zum anderen. Gleichzeitig nahm er seinen Hut ab, sah auf die Uhr und sagte zu Jane: «Was gibt’s Neues?»
«Ribbentrop ist verhaftet», sagte Nicholas.
George seufzte.
«Nichts Neues», sagte Jane. «Kein Mensch hat angerufen, keine Post, niemand war da, niemand hat angerufen. Nichts um sich aufzuregen.»
George ging ins hintere Büro und kam sofort wieder heraus. «Haben Sie meinen Brief erhalten?» fragte er Nicholas.
«Nein», sagte Nicholas. «Was für einen Brief?»
«Ich habe Ihnen einen Brief geschrieben, warten Sie mal, vorvorgestern glaube ich. Ich habe Ihnen geschrieben …»
«Ach, den Brief? Ja, ich glaube, ich habe einen Brief bekommen.»
George ging wieder ins hintere Büro.
Nicholas sagte mit lauter und kräftiger Stimme zu Jane, er wolle jetzt, da der Regen aufgehört habe, einen kleinen Bummel durch den Park machen. Es sei doch hübsch, wenn man nichts anderes zu tun habe, als den ganzen Tag lang schönen Träumen nachzuhängen.
‹Mit verbindlichen Grüßen und dem Ausdruck der Bewunderung, Ihr Charles Morgan›, schrieb Jane. Sie öffnete die Tür ihres Zimmers und rief: «Stellt doch das Radio etwas leiser, ich muß noch geistig arbeiten vor dem Abendessen.»
Im großen und ganzen waren alle stolz auf Janes geistige Arbeit und ihre Beziehungen zur Welt der Bücher. Alle auf dem Flur stellten die Radios leiser. Sie überlas den ersten Entwurf und schrieb dann noch einmal sehr sorgfältig einen authentisch wirkenden Brief in einer kleinen, aber charaktervollen Handschrift, so wie Charles Morgan sie haben mochte. Sie hatte keine Ahnung, wie seine Handschrift wirklich aussah und sah auch keinen Anlaß, es ausfindig zu machen, da George es ganz gewiß ebensowenig wissen würde und das Do kument ohnehin nicht behalten durfte. Sie benutzte eine Adresse in Holland Park, die Nicholas ihr beschafft hatte. Sie schrieb sie an den Kopf des Briefbogens und hoffte, daß sie echt wirkte und versicherte sich, daß sie das tat. Schließlich machten ja viele Leute gar nicht erst den Versuch, sich während des Krieges eigenes Briefpapier drucken zu lassen, um die Arbeitskraft der Nation nicht unnötig zu beanspruchen.
Sie war gerade fertig, als die Glocke zum Abendessen läutete. Sie faltete den Brief mit peinlicher Sorgfalt zusammen, denn vor ihrem Auge erschienen die scharf gezeichneten Züge von Charles Morgan auf einem Foto. Jane schätzte, daß dieser Brief Charles Morgans, den sie da soeben geschrieben hatte, für Nicholas mindestens fünfzig Pfund wert wäre. George würde in einen schrecklichen Konflikt geraten, wenn er ihn las. Die arme Tilly, Georges Frau, hatte ihr erzählt, daß er sich, wenn er von einem Autor geplagt wurde, stundenlang nicht darüber beruhigen konnte.
Nicholas kam nach dem Abendessen in den Club, um den Abend dort zu verbringen. Er hatte Joanna
Weitere Kostenlose Bücher