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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Spark
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schließlich doch überredet, den ‹ Schiffbruch der Deutschland› für eine Bandaufnahme zu rezitieren. Das Aufnahmegerät hatte er im Nachrichtenbüro einer Regierungsstelle entliehen.
    Jane folgte dem Strom der Mädchen treppab zum Abendessen. Nur Selina trödelte noch oben herum und beendete ihre abendliche Sprachübung:
    « … Elegante Kleidung, tadelloses Gepflegtsein und ein vollendetes Benehmen tragen dazu bei, Selbstver trauen zu gewinnen.»
    Der Wagen der Clubleiterin hielt mit quietschenden Bremsen vor dem Haus, als die Mädchen die Parterreräume erreicht hatten. Die Clubleiterin traktierte ihren Wagen so, wie ein Mann von ihr traktiert worden wäre, hätte sie einen besessen. Sie schritt, Grau in Grau, in ihr Büro und kam kurz darauf zu ihnen in den Eßsaal. Sie verschaffte sich Ruhe, indem sie mit der Gabel an die Wasserkaraffe schlug, wie immer, wenn sie etwas anzukündigen hatte. Heute gab sie bekannt, daß ein amerikanischer Gast, Mrs. G. Felix Dobell, Freitag abend im Club über das Thema ‹Die Frau der westlichen Welt und ihre Mission› sprechen werde. Mrs. Dobell sei ein führendes Mitglied der Moralwarte und kürzlich zu ihrem Mann herübergekommen, der hier beim amerikanischen Nachrichtendienst stationiert sei.
    Nach dem Abendessen kam Jane plötzlich der Verrat zum Bewußtsein, den sie an dem Unternehmen Throvis-Mew begangen hatte, und an George, der sie dafür bezahlte, daß sie mit ihm geschäftlich konspirierte. Sie mochte den alten George gern und begann, über seine freundlicheren Eigenschaften nachzudenken. Ohne die leiseste Absicht, sich der Verschwörung mit Nicholas entziehen zu wollen, starrte sie auf den Brief, den sie geschrieben hatte und fragte sich, wie sie wohl mit ihren widersprechenden Gefühlen ins reine kommen sollte. Sie beschloß, mit Tilly, seiner Frau, zu telefonieren und einen kleinen freundschaftlichen Schwatz mit ihr zu halten.
    Tilly war entzückt. Sie war zierlich und rothaarig, von lebhafter Intelligenz und bescheidenem Wissen. George hielt sie der Welt der Bücher fern, da er Erfahrungen mit Ehefrauen hatte. Für Tilly war das eine empfindliche Entbehrung, und sie kannte nichts Schöneres, als über Jane den Kontakt zum Verlagsgeschäft zu haben und sie sagen zu hören: «Weißt du, Tilly, das ist eine Frage unserer raison d’être.» George duldete diese Freundschaft in dem Gefühl, daß sie Jane nur stärker an ihn band. Er verließ sich auf sie. Sie kannte seine Methoden.
    Im allgemeinen langweilte sich Jane mit Tilly, die, obschon sie nicht gerade Cabaret-Tänzerin gewesen war, die Welt der Bücher, wann immer sie Gelegenheit dazu hatte, aus der Perspektive einer Hupfdohle betrachtete, was Jane auf die Nerven ging, da ihre Ehrfurcht vor der Gewichtigkeit der Literatur noch jüngeren Datums war. Sie spürte, daß Tilly die Sphäre des Bücherschreibens und -verlegens doch allzu leichtfertig betrachtete und sich dazu noch nicht einmal klar darüber war. Nun aber war ihr verräterisches Herz plötzlich voller Wärme für Tilly. Sie rief sie an und lud sie für Freitag zum Abendessen ein. Sollte Tilly sie gar zu sehr langweilen, hatte Jane sich vorgenommen, mit ihr eine Stunde im Vortrag von Mrs. G. Felix Dobell zu verbringen. Der Club war einigermaßen begierig, Mrs. Dobell kennenzulernen, da man ja ihren Mann schon bis zu einem gewissen Grad als Begleiter Selinas und ihren mutmaßlichen Liebhaber kannte. «Am Freitag spricht eine Amerikanerin über die Frau der westlichen Welt und ihre Mission, das wollen wir uns aber nicht anhören, das ist zu langweilig», sagte Jane entgegen dem soeben von ihr gefaßten Entschluß, einzig in dem überschwenglichen Bemühen, irgend etwas zu opfern, irgend etwas für Georges Frau zu tun, nun, da sie ihn verraten hatte und im Begriff war, ihn regelrecht zu betrügen.
    Tilly sagte: «Ich komme so gern in den May of Teck. Es ist, als sei man wieder in der Schule.» Tilly sagte das immer, es war zum Wildwerden.
     
     
    Nicholas erschien zeitig mit seinem Aufnahmegerät. Er setzte sich mit Joanna in den Aufenthaltsraum und wartete, daß die Zuhörer vom Abendessen hereinströmten. Nicholas fand, daß Joanna großartig aussah, nordisch, wie aus einer Saga.
    «Leben Sie schon lange hier?» fragte Nicholas schläfrig, während er ihre kraftvolle Gestalt bewunderte. Er war schläfrig, weil er den größten Teil der vergangenen Nacht mit Selina auf dem Dach verbracht hatte.
    «Etwa seit einem Jahr, und vermutlich werde ich hier

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