Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Fulton durfte jetzt nicht abspringen. »Es ist mir egal, ob du sie fesseln und knebeln musst, aber schaff sie aus dem Haus und sorge dafür, dass ihr keine Spuren hinterlasst.«
»Ich muss warten, bis es Nacht wird. Im Moment ist draußen noch zu viel los.«
»Tu, was immer du für nötig hältst.«
Sie legte auf und spürte zum ersten Mal seit drei Monaten, wie echte Furcht an ihren Nerven zerrte. Wenn Fulton recht hatte und es wirklich Alicia war, die man gefunden hatte, würde die Polizei schon sehr bald nach weiteren Mädchen aus Lancaster suchen und auf Nika kommen. Und das so kurz nach Rose McNamara! Auch wenn die Opfer scheinbar nichts miteinander verband, über die abgeschnittenen Haare würden sie darauf kommen. Würde Dani Cole draufkommen.
Mia schloss die Augen. Jeder Muskel ihres Körpers war angespannt. Erst schien nur ein loser Faden das Problem zu sein, doch jetzt drohte der gesamte Wandbehang herunterzukommen. Wie konnte sie sie aufhalten, wie bloß? Wenigstens für kurze Zeit, bis sie Nika umgebracht und die Perücke vollendet hatte? Wie verhindern, dass die Polizei sogar auf ihre, Mias, Spur kam?
Die Antwort war klar. Sie hatte die ganze Zeit auf der Hand gelegen und fuhr Mia nun wie ein Adrenalinstoß ins Blut: Jemand musste Dani Cole aufhalten.
Dani weinte nicht auf Rosies Beerdigung. Sie hatte zwei Reihen hinter den McNamaras Platz genommen, und ihre Trauer wurde von einer solchen Wut überschattet, dass sie glaubte, explodieren zu müssen.
Nach der Trauerfeier schritt sie mit steifen Gliedern die Treppe hinunter und sah zu, wie die Familienmitglieder, einer nach dem anderen, die Kirche durch die schweren, verzierten Eichentüren verließen. Sämtliche Abneigung Rosie gegenüber war verschwunden, die Familie trauerte nun um sie. Dani schloss die Augen und erinnerte sich an das Foto von dem kleinen Mädchen mit den Verbänden. An den verlorenen Gesichtsausdruck der sechzehnjährigen Prostituierten, die Hilfe brauchte. Die leblose, zerfleischte Masse in dem Wäldchen hinter Camden Park.
Sie entfernte sich noch weiter von den Trauernden und griff nach ihrem Handy, um Tifton anzurufen. Nicht erreichbar. Dann versuchte sie es bei Chief Gibson. Ebenfalls nicht erreichbar. Sie wollte es gerade bei Mitch probieren, als ihr Handy vibrierte und eine SMS ankündigte.
Sie hätte eigentlich erwartet, dass sie von Tifton kam. Doch falsch gedacht.
DU KANNST MICH NICHT AUFHALTEN stand auf dem Display.
Sie erstarrte am ganzen Körper. Dann blickte sie sich vorsichtig um, als befürchtete sie albernerweise, dass der Absender sie beobachtete. Dani wollte die Nummer zurückrufen und hämmerte so hektisch auf ihr Handy ein, dass sie zunächst nicht die richtige Taste traf. Aber die Nummer war unbekannt. Sie rief im Präsidium an und bat, zu den Technikern durchgestellt zu werden.
»Findet heraus, woher der Anruf kam, verdammt noch mal!« Aber sie wusste, dass man ihn nicht zurückverfolgen konnte. Ein Prepaid-Handy. Oder eines, das als gestohlen gemeldet worden war.
Dani ballte die Hände zu Fäusten. Verdammt, irgendetwas musste sie doch tun können!
Es kam ihr vor, als läge ihr eine bittere Pille auf der Zunge, eine, die sie schon längst hätte hinunterschlucken müssen. Sie wusste, was Chief Gibson von ihr dachte.
Es war an der Zeit, danach zu handeln.
40
D as Gemini hatte tagsüber nicht geöffnet, denn seine Stammkundschaft waren Nachtschwärmer. Doch am späten Nachmittag würden ein paar Angestellte da sein. Und natürlich Ty Craig, mit dem sie verabredet war.
Dani stieg aus dem Wagen und ging zum Seiteneingang, wie Ty ihr erklärt hatte. Sie griff unter ihren Blazer und ließ das Holster aufschnappen, in dem ihre Waffe steckte. Aber die würde sie nicht brauchen.
Sie klopfte drei Mal an, dann drückte sie mit der Schulter die Tür auf und trat ein.
Es roch nach kaltem Rauch, abgestandenem Bier und Insektenvernichtungsspray. Eine nackte Glühbirne hing von der Decke in der Mitte des Raums und warf verzerrte Schatten auf die Bühne, auf der sich drei Tanzstangen befanden. Nichts rührte sich.
»Craig?«, rief Dani. Ihre Sohlen klebten auf dem Fußboden, als sie ein paar Schritte tat. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss, und das Geräusch hallte durch den Raum. »Craig?«
Ein Stuhl kratzte über den Fußboden, und Dani zog flugs ihre Waffe.
Doch im selben Augenblick traten zwei Gestalten von beiden Seiten an sie heran und rissen ihr die Waffe aus der Hand. Beide griffen nach jeweils
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