Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Die beiden schärfsten hatte sie auf den Rand des Waschbeckens gelegt. Eine war relativ kurz, die andere hatte ungefähr die Länge des größten Küchenmessers ihrer Mutter. Sie hatte das kleinere Stück extra so ausgesucht, dass es in ihre Hosentasche passte, und es mit den Stoffstreifen des zerrissenen Lakens umwickelt, damit sie sich nicht die Hose oder ihre Haut aufschlitzte. Auch die größere Scherbe hatte sie am unteren Drittel mit Stoff umwickelt. Sie nahm das dick gepolsterte Ende in die rechte Hand und fragte sich, in welchem Winkel sie es wohl halten musste. Sie würde ihre Waffe hinter dem Rücken in der Faust halten, und wenn der Eismann näher kam …
Sie schloss die Augen und stellte sich vor, was kommen mochte. Versuchte, sich jede Bewegung vorzustellen, die er machen könnte – und ihre Reaktion darauf. Als sie alles in Gedanken ein drittes Mal durchgegangen war, atmete sie tief ein und betete zu Gott, dass er ihre Hand sicher lenken möge.
Monika öffnete die Badezimmertür, damit der Eismann sie auch gewiss hörte. Sie hob den Saum ihres T-Shirts an und fuhr mit der scharfen Scherbe unter ihren Hosenbund. Mit angehaltenem Atem konzentrierte sie sich, nicht zu tief zu ritzen, schließlich musste sie beweglich bleiben. Musste vielleicht sogar wegrennen. Fast hätte sie bei dem Gedanken gekichert. Sie und wegrennen, mit dem zwanzig Pfund schweren Bauch und geschwollenen Füßen, die die Größe von Kähnen hatten?
Mit einem Mal hielt sie inne. Sie hatte Angst. Wie hatte sie nur glauben können, dass es ihr gelänge, den Eismann zu übertölpeln? Was geschah, wenn ihr Plan misslang?
Doch was würde geschehen, wenn sie es nicht einmal versuchte? Der Gedanke an die Antwort reichte ihr als Ansporn.
Sie fuhr mit der Hand tiefer unter ihren Bauch bis zum Oberschenkel und presste die scharfe Kante der Scherbe in ihre Haut, bis sie den Schmerz spürte. Sie zuckte zusammen, und als sie ihre Hand zurückzog, schnaufte sie wie eine Dampflok. Sie ließ sich auf den Badewannenrand sinken und wartete ab. Schon nach einer Minute war ihre Jogginghose feucht vor Blut, und der Fleck breitete sich immer weiter aus. Sie presste die Oberschenkel zusammen, damit sich das Blut auf den Innenseiten verteilte. Dann glitt sie zu Boden und achtete darauf, dass die lange Scherbe gut versteckt war.
Sie schloss die Augen, sprach leise ein letztes Gebet und begann zu schreien.
Fisher und Weelkes, die beiden Polizisten, stellten Dani und Mitch den Averys vor. Nach einer freundlichen Begrüßung kühlte ihre Herzlichkeit merklich ab, als die Averys begriffen, dass es um ihre Adoptivtochter ging. Die Eheleute warfen sich bedeutungsschwere Blicke zu, zogen es vor, vage auf die ihnen gestellten Fragen zu antworten, und nach fünf Minuten verkündete Richard Avery, dass er nun seinen Anwalt anrufen würde. Obwohl es bereits zehn Uhr am Abend war.
Bis dieser eintraf, vergingen dreißig Minuten in eisigem Schweigen. Dani fragte sich wieder einmal besorgt, ob Nika – Monika Wheeler – noch am Leben war.
Als der Anwalt schließlich den Raum betrat, stand Dani auf. »Sie sind hoffentlich kein Cousin oder ein Verwandter der Familie?«
»Wie bitte?«, antwortete der Mann. Dani ließ es gut sein und erklärte stattdessen, warum sie dort waren. »Wir glauben, dass Ihre Mandanten das Kind illegal adoptiert haben«, sagte sie, als befänden sich die Averys nicht im Raum. »Das Mädchen war nicht aus Estland, und sie wussten das. Wir haben auch Grund zu der Annahme, dass sie hinsichtlich des Alters gelogen haben, um zu vertuschen, dass das Kind hier geboren wurde. Als es dann starb, wurde die Untersuchung von einem Gerichtsmediziner vorgenommen, der in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu den Averys steht und vielleicht Beweise vertuscht hat.«
»Welche Beweise? Wollen Sie meine Mandanten etwa des Mordes beschuldigen?«, fragte der Anwalt.
»Natürlich nicht.« Dani sah zu dem Paar, und ihr Blick wurde weicher. »Es tut mir schrecklich leid, dass Sie diesen Verlust erleiden mussten, das können Sie mir glauben.«
»Ach, komm schon, Dani!«, rief Mitch dazwischen. Dani sah ihn an und begriff, dass er den bösen Cop spielen wollte. Na gut. »Halt die Klappe, Sheridan.« An die Averys gerichtet, sagte sie: »Meine Ermittlungen zielen nicht auf die Zeit ab, nachdem Sie das Mädchen zu sich geholt haben, sondern ich bin auf den Broker aus, der den Deal mit Ihnen ausgehandelt hat.«
»Die Adoption lief über OCIN bei der
Weitere Kostenlose Bücher