Mädchen und der Leibarzt
dich die Fürstäbtissin nicht gesehen. Dir muss doch klar sein, dass Sebastians Tod noch ein Nachspiel haben würde.«
»Aber Sie wissen doch, dass ich unschuldig bin!«
»So, weiß ich das? Ich weiß nur, dass ein Deserteur bezeugen kann, dass du zum fraglichen Zeitpunkt nicht bei Sebastian warst. Was die Fürstäbtissin von einem straffälligen Zeugen hält, werden wir sehen.«
»Sie wollen mich doch nur in den Kerker bringen, ganz gleich ob mir der Versuch gelingt oder nicht! Die Liste meiner Verfehlungen weist dank Ihrer Hilfe auch schon eine beträchtliche Länge auf!«
Der Leibarzt lachte trocken. »Du solltest dir keine Sachen zusammenreimen, auf die sich niemand einen Vers machen kann. Ich habe nichts mit den misslungenen Behandlungen zu tun! Andererseits bin ich über deine Unfähigkeit auch nicht traurig, denn es ist kein Geheimnis, dass ich von Anfang an gegen deine Ausbildung gewesen bin. Aber wenn du schon auf der Suche nach Zusammenhängen bist: Die einzige Möglichkeit, deine Ehre wiederherzustellen, ist der gelungene Blatternversuch. Deshalb werden wir jetzt gemeinsam deinen Gregor suchen und ihn in Gottes Namen auch finden!«
»Auf Ihre Hilfe kann ich verzichten.«
»So? Wie du meinst. Deiner Gesichtsfarbe nach zu urteilen, scheinst du allerdings der nächsten Ohnmacht schon wieder recht nahe. Aber wie du willst, sodann lasse ich dich jetzt allein.« Der Leibarzt ließ sie unvermittelt stehen.
»Halt!«, rief ihm Helena hinterher. »Das ist es! Gregor hat ein Anfall ereilt!«
»Das ist schon möglich, dass er irgendwo hilflos herumliegt. Davon kann man wohl ausgehen. Allerdings vergisst du dabei, dass nur Weiber grundlos ohnmächtig werden.«
»Hören Sie endlich auf mit Ihren elenden Gemeinheiten! Ich bin nicht grundlos ohnmächtig geworden. Immerhin wollte mich die Fürstäbtissin festnehmen lassen!«
»Vielleicht hat den werten Grafen aus einem ähnlichen Grund ein Anfall ereilt.«
»Ich wusste, dass Sie Gregor verraten würden! Ich habe es immer gewusst!«
»Hast du es immer noch nicht begriffen? Warum sollte ich Gregor von dem Versuch abhalten wollen? Es gibt da allerdings jemanden, der allen Grund dazu hätte.« Der Leibarzt hob abwartend die Augenbrauen.
»Aurelia!«, entfuhr es Helena, als sie auch schon mit geballter Kraft in Richtung Damenbau rannte. Weit hinter sich hörte sie den Äskulap keuchen.
Aus Aurelias Zimmer im ersten Stock drang kein Laut, und Helena drückte die Türklinke nieder. Keine der Damen schob normalerweise den Riegel vor, auch Aurelia nicht. Sie rüttelte an dem goldenen Griff, bis von innen Aurelias Stimme ertönte: »Fort! Ich will niemanden sehen!«
»Öffnen Sie! Ich weiß, dass Gregor bei Ihnen ist!«
»Du kommst nicht an mich heran! Und an Gregor schon gar nicht! Verschwinde!«
»Mach sofort die Türe auf!«
»Helena …«
Das war Gregor!
Die Türe bebte in den Angeln. »Du kommst hier nicht heraus!«, schrie Aurelia. »Du gehörst zu mir!«
»Helena, hilf mir! Aurelia hat mir Baldrian in den Wein gemischt, und ich hatte einen Anfall! Ich bin gefesselt, ich habe zu wenig Kraft …«
Helena trommelte gegen die Türe, so dass zwei andere Gräfinnen neugierig ihre Köpfe auf den Flur steckten. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Fürstäbtissin von dem Deserteur in ihrem Stift erfuhr.
»Aurelia, hören Sie auf mit dem Unsinn! Sie können ihn nicht einsperren! Er gehört Ihnen nicht!«
»Deshalb bekommst du ihn noch lange nicht! Du liebst ihn nicht, ansonsten würdest du ihn nicht kaltschnäuzig diesem Versuch unterziehen wollen!«
»Was ist denn das hier für ein Theater?« Der Leibarzt kam keuchend näher. »Überall wo Weiber sind, endet es in einem Tumult!«
»Die Gräfin hält Gregor in ihrem Zimmer fest! Er ist da drin!«
»Er wird sich doch wohl gegen dieses Weibsbild zur Wehr setzen können!«
»Monsieur Dottore Tobler, holen Sie mich hier raus!«
Der Leibarzt seufzte. »Ich verstehe nicht, warum sich die Weiber um solch schwächliche Männer reißen!« Er ging einen Schritt zurück. »Ich trete jetzt die Tür ein, werte Gräfin! Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, gehen Sie in der hintersten
Ecke Ihres Zimmers in Deckung.« Mit zusammengekniffenen Augen wartete er ab. »Graf von Herberstein? Ist das Weib jetzt von der Tür weg?«
»Ja, Sie können!«
»Himmelherrgottsakrament, warum muss ich alles machen? Schieb doch einfach den Riegel mit den Zähnen zur Seite, du Hundsfott!«
Sekunden später stand Gregor vor
Weitere Kostenlose Bücher