Mädchen und der Leibarzt
Gewissheit, wo es besser gewesen wäre, auf Aurelia hören.«
Da erschien plötzlich der Äskulap mit dem Chirurgen in der Tür. Lukas, in einen bunten Flickenumhang gekleidet, trat von einem Bein auf das andere, während der Äskulap zielsicher auf seinen Löwenschreibtisch zuschritt.
»Wenn der elende Chirurg nun die Güte besäße, das Blatterngift herauszugeben und nicht dumm herumzustehen, könnten wir endlich beginnen.«
Doch Lukas rührte sich nicht von der Stelle; stattdessen starrte er mit Bestürzung auf den schmutzigen Höhlenfußboden.
Der Äskulap stemmte die Hände in die Hüften. »Haben Sie Nachtfrost abbekommen? Das Blatterngift, sagte ich.«
Zögernd griff Lukas unter seinen Umhang und holte eine verstöpselte Flasche hervor. Darin befand sich eine Gänsefeder, die im Kiel das Gift zu enthalten schien. Davon war zumindest auszugehen. Doch was wäre, wenn Lukas das Geld in die nächste Wirtschaft getragen und dafür lediglich etwas Dünnbier mit dem Federkiel aufgesogen hatte? War es ihm zuzutrauen? Sicher war, dass er wohl selten so viel Geld auf einmal in der Hand gehalten hatte.
Lukas wirkte unentschlossen und hielt die Flasche fest in Händen. »Aber Sie wollen doch nicht hier … hier in diesem unsauberen Raum … Hier kann man doch keine Patienten behandeln!«
»Das hat auch keiner von Ihnen verlangt.«
Lukas’ Miene wurde eisig. »Das lag auch nicht in meiner Absicht. Gleichwohl frage ich mich, warum die Patienten trotz des offensichtlichen Drecks zu Ihnen kommen.«
»Bislang hat noch niemand daran Anstoß genommen. Man ist eben mit meinen Behandlungen sehr zufrieden.«
Nur mit Mühe konnte Lukas an sich halten. »Trotzdem müsste in diesem finsteren Loch einmal gehörig der Besen geschwungen werden!«
»Unsinn. Das tritt sich fest. Überdies, was die Lichtverhältnisse anbelangt, werde ich mein Geld sicher nicht für unzählige teure Kerzen verschwenden, die Dunkelheit hier hat noch niemanden gestört.«
Lukas wurde auf einmal ganz ruhig. »Nun ja, für eine Klage des Stiftskanzlers ist es ohnehin zu spät.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Die Augen des Äskulap verengten sich zu Schlitzen.
»Nichts. In der Stadt zerreißt man sich nur das Maul über seinen plötzlichen Tod. Und nachdem hier nicht einmal eine Waschschüssel steht, kann ich mir lebhaft vorstellen, was passiert ist. Gewiss trugen Ihre schmutzigen Finger erheblich zu Sebastians Ableben bei.«
»Das geht zu weit! Was unterstehen Sie sich? Ich bin kein Mörder! Ich habe nichts mit dem Tod des Stiftskanzlers zu tun!«
»Wer sagt denn, dass es Mord war? Ich dachte lediglich an eine Vergiftung des Blutes durch mangelnde Reinlichkeit an der Wunde. Doch anscheinend wissen Sie es besser.«
Der Äskulap stand wie versteinert vor dem Chirurgen. Es war totenstill im Raum; einzig das Wasser tropfte von den Wänden. Gemächlich legte Lukas seinen Umhang über den
Behandlungsstuhl des Leibarztes ab und lächelte Helena zu. Verdutzt erwiderte sie sein Lächeln, verfolgte gespannt seine Bewegungen, wie er seelenruhig mit dem Glasbehälter in der Hand am Behandlungsstuhl wartete. Helena zuckte jedoch unmerklich zusammen, als ihr Blick Gregor traf. Ihm stand die Eifersucht regelrecht ins Gesicht geschrieben.
Abschätzig maß er die bunte Gestalt. »Ich denke, der Chirurg sollte jetzt gehen, denn er hat seine Schuldigkeit getan. Helena soll den Versuch an mir nun durchführen. Außer Monsieur Dottore Tobler braucht es dazu keine weiteren Zeugen.«
Beim Klang seines Namens löste sich der Leibarzt aus seiner Erstarrung. »Jawohl, der Herr Chirurg verlässt sofort mein Reich.«
Widerspruchslos nahm Lukas seinen Umhang und stellte das Behältnis auf den Schreibtisch. Im Vorübergehen zwinkerte er ihr aufmunternd zu.
»Danke, Lukas«, sagte Helena leise. Sie wäre ihm am liebsten hinterhergelaufen, obwohl sich ihr jetzt endlich Gelegenheit bot, sich zu beweisen.
Gregor ließ sich auf dem ausgefransten Patientenstuhl nieder und krempelte den Hemdsärmel hoch. Erwartungsvoll sah er ihr entgegen. Sie atmete tief durch. Nicht nachdenken, wie es ausgehen könnte, nur nicht nachdenken.
Helena holte sich die Flasche, ohne Gregor anzusehen, und versuchte diese zu entstöpseln. Ihre Knöchel traten weiß hervor, sie biss vor Anstrengung die Zähne zusammen, aber der Korken bewegte sich nicht.
»Gib her!« Unwirsch entriss ihr der Äskulap das Behältnis und machte sich an dem Verschluss zu schaffen. »Alles muss man selbst machen.
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