Mädchen und der Leibarzt
gerechnet. Er will mich mit allen Mitteln loshaben, verstehst du? Was glaubst du, warum er unbedingt bei dem Versuch dabei sein will? Doch nur, um mich anzeigen zu können, wenn es schiefgeht.«
»Ich weiß nicht …«
»Gregor, stimmt etwas nicht mit dir?«
»Nein, nein. Alles in Ordnung.«
Helena musterte ihn. Sie ließ sich ihre Worte noch einmal durch den Kopf gehen. »Natürlich, du kannst gar nicht als Zeuge für mich auftreten, weil du ein Deserteur und somit selbst straffällig bist, nicht wahr?«
Gregor nickte.
»Warum hast du dich überhaupt dem Leibarzt gestellt? Du konntest nicht wissen, wie er reagiert. Er hätte dich sofort verhaften lassen können. Oder … wusste er bereits von dir und nutzt nun sein Wissen aus?«
Gregor nagte an seiner Unterlippe.
»Aber das ergibt doch keinen Sinn.« Helena runzelte die Stirn. »Wieso hat er dich für den Versuch …« Sie unterbrach sich selbst. »Oh Gott, natürlich! Es wird dich niemand vermissen, wenn der Versuch misslingt. Jeder wird denken, du seiest im Kampf umgekommen. Nur Aurelia und ich wissen, dass du hier bist.«
»Und Ernestine …«
»Dann muss er auch gegen sie etwas in der Hand haben. Aber was macht der Äskulap, wenn der Versuch erfolgreich
war? Er kann dich kaum der Öffentlichkeit präsentieren, solange du gesucht wirst.«
»Doch, als Deserteur, der keine Blattern bekommen kann. Was glaubst du, wie viel ich der Armee plötzlich Wert sein werde? Da werden keine Fragen mehr gestellt. Man wird mich mit Kusshand zurücknehmen! Außerdem ist der Äskulap vielleicht gar nicht so hinterhältig, wie wir glauben.«
»Kannst du dir vorstellen, dass er mir Geld für das Blatterngift geben würde?«
»Der Äskulap dir freiwillig Geld geben? Niemals!«
»Siehst du. Er hat es aber sehr wohl getan, weil er genau wusste, dass ich den Chirurgen niemals im Voraus hätte bezahlen können.«
»Aber nur geliehen, oder?«
»Nein, er hat mir das Geld in seiner überaus großen Güte geschenkt.«
Als Gregor sie mit großen Augen ansah, berichtete Helena von dem Besuch beim Chirurgen und wie sehr sie sich über das abfällige Verhalten des Leibarztes aufgeregt hatte.
»Das glaube ich dir aufs Wort.« Zärtlich fuhr er ihr über die Stirn, damit sich ihre Zornesfalten wieder glätteten. »Ach, Helena, lass uns nicht mehr über den Äskulap reden.«
Helena wusste, dass Gregor sie nur von dem geplanten Versuch ablenken wollte, und strich ihm gedankenverloren über die Brust. Die Spur ihrer Finger wurde zu dem Weg, den sie eben durch Quedlinburg zurückgelegt hatte. »Habe ich dir schon erzählt, dass ich bei einer schweren Geburt geholfen habe?«, bemerkte sie mit gespielter Beiläufigkeit. »Mutter und Kind sind am Leben.«
»Vorhin? Ich glaube es ja nicht! Dir passiert bei einem Ausgang mehr, als mir auf dem Schlachtfeld! Aber das
kommt eben davon, wenn man dich in die Stadt lässt.« Spielerisch knuffte er ihr in die Seite.
»Das hat der Äskulap auch schon gesagt.« Helena seufzte. »Reden wir nicht mehr von ihm, ich weiß. Die Gebärende hieß Sophie und ließ eine Nachricht an die Seniorin im Stift überbringen …«
»Sophie? Gräfin Sophie? Die Gräfin, die noch nicht ins Stift zurückgekehrt ist, hält sich in der Stadt auf und hat ein Kind geboren? Das sind ja Neuigkeiten!«
»Allerdings!«
»Nun, lassen wir das Sache der Fürstäbtissin sein.« Gregor nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah ihr fest in die Augen. »Hast du nun durch deinen Einsatz endlich verstanden, dass du Leben retten kannst? Und morgen gelingt es dir ein weiteres Mal – ach, was sage ich, tausendfach wird es dir gelingen.«
Wehmütig streichelte sie über Gregors Arm, über die Stelle, an der die Melkerknoten gewesen waren. Sie konnte nichts mehr sagen, ihr Hals war wie zugeschnürt. Es gab nun nur noch den Gedanken an morgen. Sie vergrub das Gesicht an seiner Brust und nahm den Geruch ganz tief in sich auf. Er sollte sie nicht wieder weinen sehen. Was, wenn sie sich in den Melkerknoten getäuscht hatte? Wenn Gregor plötzlich nicht mehr da wäre? Es musste einfach alles gutgehen …
»Helena, falls ich doch krank werden sollte, falls ich sterben muss … würde ich dir so gerne etwas hinterlassen, damit du weißt, dass ich immer an dich geglaubt habe. Aber es gibt nichts in diesem Raum, was mir gehört, nicht einmal die Kleider, die ich am Leib trage.« Er sah sich hilflos um. »Ich weiß nicht, was ich dir schenken könnte.«
Es wurde still zwischen ihnen. Ein
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