Mädchen und der Leibarzt
wegnehmen … Ihr Gegner war nun kein geringerer als der Tod.
Gregor war wieder in die Kissen gesunken, Speichel lief gelb und faulig aus seinem Mund. Aurelia konnte die Übelkeit kaum unterdrücken, ihr Magen rebellierte.
Da pochte es an der Türe. Es war das Klopfzeichen des Dieners.
Eilends sprang sie aus dem Bett, lief hin zur Türe und ließ kaum die gebotene Wartezeit verstreichen, in der sich der Diener zu entfernen hatte. Sie griff nach der Flasche mit dem Aqua mercuriale und brachte dem Kranken die rettende Medizin.
»Trink, Gregor! Du musst trinken! Das Quecksilber hilft dir bestimmt bald …«
Gregor schlug die Augen auf und betrachtete die Flasche wie einen fremden Gegenstand. »Was … was ist damit?«
»Du musst trinken, damit es dir bessergeht!«
»Sterben.« Kaum vernehmbar war es über seine Lippen gekommen. »Ich will sterben.«
Aurelia erstarrte. »Nein, das darfst du nicht! Gregor, bitte! « Als er nicht reagierte, hielt sie ihm die Flasche an den halboffenen Mund. Blauvioletter Schaum lag auf seinem
Zahnfleisch. Gregor röchelte und gab merkwürdige Töne von sich. Voller Panik drückte sie ihm das Kinn nach unten, um den Mund weiter zu öffnen. Der Anblick war grauenvoll. Dicke Geschwüre wucherten bis tief in den Rachen und ließen kaum mehr von der Flüssigkeit hindurch. Gregor rang nach Luft und spuckte das Quecksilber schließlich wieder aus.
»Gregor, du darfst nicht sterben, bitte.«
»Helena, hier ist Besuch für dich.«
Sie blinzelte in den hellen Lichtstrahl, der durch die offene Tür fiel und rappelte sich mühsam auf. Seit sie die Mütze für Lukas fertig gestrickt hatte, verbrachte sie die Zeit nur noch mit Dämmerschlaf.
»Helena?« Borginino hob die Kerze in Richtung ihres Lagers aus Decken und Stroh. »Ich dachte, ein wenig Ansprache würde dir ganz guttun, deshalb hab ich jemanden mitgebracht. «
»Gregor?«
Borginino wandte sich an den Besucher im Hintergrund: »Sie ist ein bisschen verwirrt, aber ich denke, Sie können dennoch zu ihr.«
Mit einem Mal war sie hellwach. Hunger und Kälte waren vergessen, als die Person langsam eintrat.
»Lukas!«, entfuhr es ihr.
Der Chirurg blieb vor ihr stehen. »Mein Gott, Helena, wenn ich geahnt hätte, dass man dich in dieses finstere Kellerloch gesteckt hat … Ich dachte, du kämest vor lauter Siegestaumel nicht mehr aus dem Feiern heraus, also
wollte ich geduldig abwarten, bis du dich wieder bei mir meldest.«
»Aber wer hat es dir gesagt?«
»Borginino. Freust du dich, dass ich da bin?«
»Natürlich.« Es sollte ehrlich klingen, aber die Enttäuschung schwang doch in ihrer Stimme mit. »Ich hatte nur auf Gregor gehofft.«
»Was ist mit ihm? Hat er wirklich die Blattern? Ist der Versuch nicht geglückt?«
Helena versuchte sich mühsam von ihrem Lager aufzurichten. »Bei Gregor ist die Syphilis ausgebrochen! Und zwar ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem man mit den Blattern gerechnet hatte. Und der Äskulap weigert sich, eine Syphilis von einem Blatternausschlag zu unterscheiden! «
»Unfassbar!« Lukas ballte die Fäuste. »Wenn ich diesen Leibarzt in die Finger kriege! Nun reicht es, und zwar endgültig! Wo liegt Gregor, wo ist er?«
»Soviel ich weiß, in der Bibliothek«, gab Helena zurück und versuchte erneut, sich auf ihrem Strohlager aufzurappeln. »Warte, ich komme mit und zeig es dir.«
»Nichts da«, widersprach Borginino und trat einen Schritt vor. »Entschuldigung, aber das geht wirklich nicht.«
»Ich will zu ihm, bitte! Ich will sehen, wie es ihm geht. Ich vermisse ihn!«
»Helena, du hast gehört, wie die Auflagen sind. Ich werde alleine zu ihm gehen. Bitte hab noch etwas Geduld. Es ist grausam hier unten, ich weiß. Und ich kann mir vorstellen, was du durchmachst, aber es ist klüger hierzubleiben, bis ich mir den Ausschlag besehen habe und die Fürstäbtissin mich angehört hat. Sie wird mir glauben, das verspreche
ich dir. Dann bist du wieder frei und ich werde Gregor derweil liebste Grüße von dir bestellen.«
Es war schwer, gegen ihre Gefühle anzukommen, aber der Verstand sagte ihr, dass Lukas Recht hatte. Sie durfte sich nichts, aber auch gar nichts mehr zuschulden kommen lassen.
»Danke, Lukas. Ich danke dir, dass du mir jetzt hilfst und mich damals eine Zeit lang bei dir aufgenommen hast.«
»Du bist jederzeit wieder willkommen, das weißt du.«
»Und dass du deinen Lohn mit mir geteilt hast. Dafür will ich dir nun etwas schenken …« Helena grub im Stroh und zog die
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