Mädchen und der Leibarzt
wirklich die Liebe bei dem Franzosen eingefangen? Was sollte er glauben? Wem sollte er glauben? Verzweifelt versuchte er, die Augen offen zu halten, um Aurelia ins Gesicht zu sehen. Sorge und Leid sprachen aus ihren Zügen.
»Ich will alles dafür tun, damit du wieder gesund wirst, Gregor. Und wenn du Quecksilber haben möchtest, so bekommst du es. Ich werde den Diener sogleich mit der Beschaffung beauftragen.«
Gregor hörte die Feder übers Papier kratzen, und kurz darauf ging Aurelia zur Türe, um den Zettel darunter durchzuschieben. Als Vorsichtsmaßnahme hatte man den Diener angewiesen, Nachrichten nur auf diese Weise entgegenzunehmen. Ähnlich wurde mit dem Essen verfahren: Sie bekamen es vor die Tür gestellt, und auf ein Klopfzeichen hin durfte Aurelia es holen, während sich der Diener derweil zwanzig Schritte zu entfernen hatte, um sich nicht anzustecken.
Gregor wusste, dass Aurelia nun wieder auf dem Bett saß. Seitdem er kaum mehr die Kraft fand, die Augen zu öffnen, verschaffte ihm sein Gehör eine erstaunlich präzise Vorstellung von dem, was um ihn herum passierte. Leider
blieben ihm dabei Aurelias Gefühle verborgen, er spürte jedoch, dass sie etwas Wichtiges sagen wollte.
»Der Äskulap hat immer nur etwas von einem Pickelchen gesagt, gegen das ich Quecksilber nehmen soll. Ich dachte, damit meint er das Kind, ich konnte doch nicht ahnen, dass ich krank bin! Aber wenn ich dir die Syphilis übertragen habe, so muss ich fortan auch Quecksilber nehmen …«
Gregor wusste, dass Aurelia jetzt ihren Bauch umfasste. Aber noch bevor er etwas erwidern konnte, klopfte es an der Türe.
Aurelia erhob sich. »Wer stört?«
»Verzeihen Sie, werte Gräfin, aber gegen die Blattern hilft doch kein Quecksilberwasser, oder?«, ertönte es vom Gang her.
»Du bist ein Diener, du sollst nicht denken, sondern Befehle ausführen. Und wenn ich nach Aqua mercuriale verlange, so hast du mir dieses unverzüglich zu bringen. Hol mir auf der Stelle drei Flaschen davon aus der Stiftsapotheke, nein, am besten gleich vier, sonst machst du deine nächsten Botengänge als Bettler!«
Mit einem Lächeln hatte Borginino ihr die neue Behausung offeriert, als sei diese das beste Zimmer des Stifts. In Wirklichkeit war es ein feuchtkalter Gewölbekeller, in der Länge nur doppelt so groß wie sie selbst und mit einem winzigen Lichtschacht versehen. Wenn Borginino zur Tür hereinkam, wusste sie, dass es zwei Uhr mittags war und sie ihre tägliche Essensration bekam. Der einzige Lichtblick des Tages.
Die übrige Zeit jedoch glaubte sie in ihrem Kummer zu ertrinken. Ihre Gedanken kreisten unablässig um Gregor, schlugen einen Bogen über den Äskulap, kamen dabei an Sebastians Grab vorbei und wieder zurück zu Gregor. Sie brachte Tage voller Grübeleien und schlaflose Nächte zu und begann darüber langsam die Herrschaft über ihren Verstand zu verlieren. In die hinterste Ecke auf ein Strohnest gekauert schlang Helena die Arme um die Knie. Sie fühlte sich wie eine Fahne im Sturm, kurz vor dem Zerreißen.
»Helena, alles in Ordnung?« Borginino war in der Tür erschienen.
»Ja, es geht, danke. Ist es jetzt zwei Uhr?«
»Nein, aber ich hab dir noch zwei Decken und eine Kerze mitgebracht. Außerdem habe ich eine Überraschung für dich.«
»Gregor?«
»Wie bitte? Nein. Mich dauert, dass du hier dein Dasein fristen musst, deshalb …« Er verschwand und präsentierte ihr kurz darauf mit unverhohlenem Stolz ein Tablett. »Den Kaffee und das Hefegebäck habe ich in der Küche bekommen. «
»Das ist lieb von dir, danke, aber ich möchte nichts.«
»Ich gebe es dir gern, Helena. Nimm ruhig, die Küchenmagd steckt mir bestimmt mal wieder etwas zu.«
»Nein, wirklich, ich möchte nichts.« Sie spürte ihren Magen schon seit Tagen nicht mehr, ein wenig Wasser genügte ihr völlig. »Ich habe keinen Hunger. Und von dem Rußwasser wird mein Zittern nur schlimmer.«
»Wahrhaftig, du zitterst ja. Nimm wenigstens die Decken und die Kerze. Es ist eine Wachskerze aus der Kirche, der Herrgott wird es mir verzeihen.«
»Danke.« Helena schluckte und nahm die Gaben entgegen.
»Du wirst sehen, gleich wird es viel heller, und du kannst dir sogar ein wenig die Finger an der Flamme wärmen. Mit steifen Fingern kann man nichts anfangen.«
Ein kleines Lächeln schob sich auf ihre Lippen. Sie hatte ihm gestern gesagt, dass sie so gerne stricken würde. »Hast du etwa im Stiftsgarten zwei spitze Hölzer gefunden?«
»Nein, leider nicht …
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