Mädchen und der Leibarzt
gestrickte Mütze hervor. »Ich hoffe, sie gefällt dir.«
Lukas griff erstaunt nach dem wollenen Geschenk, wusste jedoch in dem fahlen Licht nicht so recht etwas damit anzufangen.
»Es ist eine Mütze. Eine rote«, half Helena nach.
»Eine Mütze? Für mich? Wie hast du das denn gemacht?«
»Die Wolle habe ich heimlich gekauft, als ich noch bei dir war. Ich hatte nur nicht vor, sie in diesem finsteren Loch zu stricken. Es kann also sein, dass sie missraten …«
»Unsinn!« Lukas zog die Mütze auf den Kopf. »Wie sehe ich aus?« Sein stolzes Lächeln war deutlich zu sehen. Er drehte sich, als befände er sich in einem hell erleuchteten Spiegelsaal. »Sie ist wunderbar, ach, was sage ich: Du bist wunderbar! Einfach unglaublich … Sitzt hier in diesem Gefängnis und strickst!«
»Helena hat mir erzählt, dass es ein Geschenk für Sie werden soll«, mischte sich Borginino ein. »Und da dachte ich, als das gute Stück fertig war …«
»Danke, Borginino. Vielen Dank, dass du Lukas geholt hast. Und ohne dein ständiges Lächeln hätte ich längst den Verstand verloren.«
Der Diener zog sich etwas verschämt, aber sichtbar erleichtert zurück, und Lukas wandte sich ebenfalls zum Gehen.
»Sobald ich bei Gregor war, komme ich noch einmal zu dir. Soll ich ihm sonst noch etwas ausrichten?«
»Sag ihm bitte, dass ich ihn sehr, sehr gern habe.«
»Das mache ich. Weißt du was, Helena?« Nachdenklich nahm Lukas die Mütze wieder ab. »Ich finde, du solltest sie Gregor schenken. Ich würde sie wirklich gern behalten, sie wäre eine schöne Erinnerung an die Zeit mit dir, aber sie gebührt mir nicht.«
Helena schluckte, und für einen Moment war sie von dem Gedanken beseelt, Gregor etwas schenken zu können, aber dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Nein, Lukas, die Mütze gehört dir. Ich habe sie für dich gestrickt, auch wenn ich dabei oft an Gregor gedacht habe, das gebe ich zu. Aber er weiß auch so, dass ich immer ganz nahe bei ihm bin. Ich möchte, dass du sie behältst.«
»Wenn du meinst …« Sanft streichelte Lukas über die Wolle. »Ehrlich gesagt hätte einem Grafen eine rote Bommelmütze wohl auch nicht so gut gestanden wie mir.« Gerade, als er sich grinsend auf den Weg machen wollte, erschien Borginino erneut in der Tür.
»Hier kommt noch einmal Besuch für dich.«
»Oh Helena, du armes Mädchen! Wie geht es dir?«
»Ernestine!«
»Endlich habe ich erfahren, wo du steckst! Ich weiß von Borginino, was passiert ist. Wie geht es dir?«
»Es geht schon, Ernestine. Es geht schon. Ich werde bald hier herauskommen.«
»Oh, das freut mich für dich, Gott sei’s gedankt! Umso mehr ist es mir schlimm, dich schon wieder um Hilfe bitten zu müssen, wo du doch selbst in einer so furchtbaren Lage steckst. Aber ich wüsste wirklich nicht, wer mir sonst helfen sollte.«
»Ich vielleicht?«
Ernestine wandte sich zu der tiefen Stimme um. »Oh, der Herr Chirurg! Sie habe ich im Halbdunkel gar nicht bemerkt. Meine Augen sind nicht mehr die besten. Müssen Sie sich jetzt um Helena kümmern, weil sich der Leibarzt nicht einmal mehr um seine eigene Nichte sorgt?«
Und noch bevor Helena etwas erwidern konnte, korrigierte Lukas: »Helena ist nicht mit dem Äskulap verwandt. Er musste sie bei sich aufnehmen.«
»Keine Nichte?« Ernestines Gedanken schienen sich zu überschlagen. »Oh, du meine Güte, jetzt wird mir einiges klar. Gütiger Gott!«
»Was denn?«, fragte Helena erstaunt.
»Oh, das tut jetzt nichts zur Sache. Aber vielleicht dürfte ich dich bitten … Könntest du wieder etwas für mich schreiben? So wie damals? Ich habe Papier und Feder dabei. Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich dich in dieser Umgebung darum bitten muss, aber es ist wirklich sehr dringlich.«
»Schon gut. Das mache ich doch gerne.« Helena nahm ihr das Schreibzeug ab; war sie doch froh und dankbar um jede Ablenkung. Borginino trat zu ihr und hielt die Kerze hoch.
»Was soll ich schreiben?«
»Nun ja, ich weiß auch nicht so recht, vielleicht so: Meiner lieben Tochter soll alle Stubeneinrichtung, alle Tisch- und Bettwäsche, alles Küchengeschirr, alle Speisevorräte, ein silberner Vorleglöffel, sechs Esslöffel und sechs Kaffeelöffel eigentümlich verbleiben .« Ernestine sah sie fragend an. »Geht das so?«
Als die Worte in der Stille des Raumes verklungen waren, ließ Helena die Feder sinken. »Ernestine, das ist ja ein Testament! Warum um Himmels willen? Du bist doch nicht krank?«
»Noch nicht. Aber ich
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