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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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verwundert den Kopf. »Und da glaubt man immer von allem eine Ahnung zu haben. Nun sollte ich wohl zuallererst dem Betroffenen selbst den Generalpardon zur Kenntnis bringen. Was meint ihr?«
    »Warte!«, rief Helena. »Wir kommen mit!«
    »Oh ja«, begeisterte sich Ernestine, »sein freudiges Gesicht will ich mir nicht entgehen lassen. Und außerdem …« sie tippte bedeutungsvoll auf ihren Oberarm, »sind wir ja nun so etwas wie Verbündete.«
    »Verzeiht, wenn ich die Freude trüben muss«, warf Borginino pflichtbewusst ein. »Ich darf daran erinnern, dass du dich, Helena, in einem Gefängnis befindest.« Er wandte sich um Beistand bittend an Lukas. »Helena muss hierbleiben. «
    »Keine Sorge«, entgegnete dieser. »Wir bringen Helena gleich wieder zurück.«
    »Aber wenn euch die Fürstäbtissin sieht, oder auch nur der Äskulap, dann bin ich meine Arbeit hier endgültig los!«
    Lukas nickte mitfühlend. »Aber du weißt hoffentlich, dass das Stift bald aufgelöst wird, und du dir sodann ohnehin eine neue Beschäftigung suchen musst?«
    »Ja, das ist mir klar. Aber damit ich eine gute Entschädigung bekomme, will ich mich lieber besonders eifrig zeigen und mir nichts zuschulden kommen lassen. Und meine augenblickliche Aufgabe ist es, Helena zu bewachen.«
    »Sodann, lasst uns gehen.« Lukas half Helena vom Strohlager auf und stützte sie auf den ersten Schritten, bis sie ihre
Beine wieder trugen. Unter der Türe drehte er sich noch einmal um. »Wo bleibst du, Borginino? Oder hat jemand behauptet, dass du sie nur in diesem Kellerloch bewachen sollst?«
    Borginino folgte ihm augenzwinkernd. »Die Wahrheit muss recht biegsame Knochen haben, so oft wie sie verdreht wird.«

KAPITEL 19
    K önntet ihr euch bitte wie gesittete Stiftsbesucher benehmen? Und nicht wie Flüchtlinge?« Der Diener hastete hinter ihnen her. »So müssen wir ja auffallen.«
    »Ich bin auf der Flucht!«, rief Helena übermütig. »Ich darf so schnell gehen, wie ich will.« Nun rächte es sich, dass sie in letzter Zeit kaum etwas gegessen hatte. Ihr war schwindelig, sie hatte keine Kraft in den Beinen und keuchte die schmalen, ausgetretenen Kellerstufen hinauf, um zum Sternenzimmer zu gelangen. Als sie das erste Stockwerk erreicht hatten, erhob sich vom Hof her ein mächtiges Donnern wie aus einer Kanone, das die Mauern erzittern ließ. Starr vor Schreck fühlten sie das Beben.
    Einen Augenblick später war alles wieder ruhig und friedlich, als sei nichts gewesen. Helena fasste sich als Erste. Von den anderen umringt riss sie ein Fenster zum Stiftshof auf. Kühler Wind schlug ihr entgegen, und sie schauderte. Auf dem Hof war nichts Außergewöhnliches zu erkennen. Doch, und genau das war seltsam. Niemand war zu sehen! Nicht einmal ein Tier. Kein Huhn, keine Katze. Es war, als hielten sich alle versteckt. Mitten in diese gespenstische Ruhe dröhnte ein zweites Donnern, kurz darauf gefolgt von einem dritten und vierten Schlag.
    »Hört ihr die Musik?«, wisperte Lukas. Er hielt den Finger an die Lippen. »Trompeten … und Pauken. Hört ihr das?«
    »Lukas …« Helena überfuhr ein glühend heißer Schwall. »Was ist heute für ein Tag?«
    »Gütiger Gott!«, entfuhr es Borginino.
    »Heute ist der dritte Tag des Dezembers«, sagte Lukas.
    Sie drängten sich zu viert an das offene Fenster. Als die ersten Reiter zu sehen waren, hoben die Stiftsglocken zu einem gewaltigen Geläut an. Laute und leise, dunkle und helle Töne schlugen wild durcheinander, um den König und sein Gefolge zu empfangen.
    Die Kavallerie ritt ein und verteilte sich auf dem Hofplatz. Die Männer, allesamt auf dunklen Pferden, trugen Uniformen aus blauem Rock und Weste, dazu helle Kniebundhosen und blankpolierte Stiefel. Es waren wohl annähernd fünfundzwanzig Pferde, einige davon tanzten mit bebenden Nüstern aus der Reihe und mussten von einem oder sogar zwei Infanteristen am Zügel zurück in die Reihe geführt werden. Mit großer Mühe gelang es der Kavallerie schließlich, auf dem Hof einen Halbkreis zu bilden. Die Infanteristen stellten sich davor auf, schulterten ihre Gewehre, und die Kavalleristen hoben ihre goldglänzenden Trompeten und bliesen eine Fanfare.
    Trotz der Entfernung glaubte Helena plötzlich einige bekannte Gesichter unter den Hüten zu erkennen. Der Mann, der besonders aufrecht auf dem Pferderücken saß, konnte nur der Stallmeister des Stifts sein. Er hielt sein Pferd so straff am Zügel, dass es Schaum vor dem Maul hatte. Die schmächtige Gestalt, die

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