Mädchen und der Leibarzt
angefleht, wo ich denn hin solle mit den vollen Schüsseln. Und er stand mir Pate für den besten Rasendünger auf Erden.«
KAPITEL 5
H elena rannte. Sie rannte in der Hoffnung, ihren eigenen Füßen davonlaufen zu können. Widerlich, einfach nur widerlich! Keuchend lief sie die dunkle Treppe hinauf und durch den langen Korridor bis zum Sternenzimmer. Dort hielt sie vor der Türe inne. Oder sollte sie lieber im Stall schlafen? Nein. Niemand brachte sie dazu, auch nur noch einen Fuß auf diesen blutgetränkten Rasen zu setzen. Schon gar nicht ein Mann und erst recht nicht dieser Vagabund.
Geräuschvoll öffnete sie die Türe und tastete sich im Mondlicht an den Marmorbüsten entlang zum Studiertisch. Der Mann sollte nicht glauben, dass er … Doch wo war er? Das Bett war leer, und nur ein Weinkrug stand noch da.
»Helena? Erschrecken Sie jetzt bitte nicht.«
Sie wirbelte herum. Dort stand er. Zwischen Sokrates und Aristoteles war er zwischen den Regalen hervorgetreten. Barfüßig, mit zerzausten Haaren und einem beißenden Geruch an sich. Plötzlich fiel ihr auf, dass auch mit seinem linken Arm etwas nicht stimmen konnte, denn er bewegte ihn recht unnatürlich.
»Was wollen Sie von mir? Woher wissen Sie meinen Namen? Und wer sind Sie überhaupt?«
»Ich heiße Gregor von Herberstein«, sagte er gelassen und ging auf sie zu.
»Und was tun Sie hier?« Helena wich vor ihm zurück, bis sie an den Schreibtisch stieß.
Der Mann entzündete seelenruhig einige Kerzen an den Regalseiten. »Ich wollte soeben noch ein wenig die Mathematiker studieren, bevor ich zu Bett gegangen wäre. Verzeihung, Helena. Jetzt ist es ja wohl unser Bett.«
»Es ist mein Bett! Und sagen Sie mir endlich, woher Sie meinen Namen wissen.«
»Stiftskanzler Sebastian erwähnte ihn, als Sie hier mit ihm auftauchten … Und wenn Sie mich ausreden lassen wollen, kann ich Ihnen alles erklären. Setzen wir uns.«
»Danke, ich stehe lieber«, sagte Helena und verschränkte die Arme.
»Das ist vielleicht auch besser so, Ihr Rock ist doch etwas schmutzig. Sebastian hat übrigens neue Kleidung für Sie gebracht. Ich habe sie dort auf den Stuhl gelegt. Möchten Sie etwas Brot?«
Helena spürte, wie ihr der Magen knurrte. »Nein danke, ich habe keinen Hunger.« Mit einem kritischen Blick nahm sie die Kleidung an sich. Ein eidotterfarbenes Mieder, eine braune Schürze und ein grasgrüner Rock. Die Wahl eines Mannsbildes! Allerdings hatte er sogar daran gedacht, Nadel und Faden für Änderungen beizulegen. »Weiß Sebastian, dass Sie hier sind?«
Gregor machte es sich auf dem Strohbett bequem, das Kerzenlicht spiegelte sich in seinen dunklen Augen. »Es ehrt mich, dass Sie sich um mich sorgen, aber ich halte mich hier gut versteckt. Außerdem hat Sebastian die Kleidung nur achtlos ins Zimmer geworfen. Kein Wunder bei Ihrem Abgang! Hübsche Sachen sind das übrigens.« Amüsiert strich er sich über seinen wuchernden Bart.
»Sie sollten lieber ganz ruhig sein. Bei Ihrem ungehobelten Auftreten würde selbst neue Kleidung nicht viel nützen.« Helena legte die Sachen beiseite; umziehen würde sie sich hier bestimmt nicht. »Woher kennen Sie Sebastian? «
»Ich kenne alle im Stift – bis auf Sie.«
»Sind Sie auf der Flucht?«
»Ja. Ich halte mich seit gestern hier versteckt. Und Sie sind auch auf der Flucht …«
»Woher wissen Sie das?«
»Es war nur eine Vermutung.« Er zog einen Strohhalm aus dem Kissen und zwirbelte ihn zwischen den Fingern. »Aber jetzt weiß ich es. Allerdings gehört nicht viel Logik dazu: eine Frau allein im Wald, ohne Garderobe, die freiwillig bei einem fremden Mann die Nacht verbringt … Da gibt es nicht viele Möglichkeiten. Entweder ist sie ein leichtes Mädchen, oder sie teilt mein Schicksal.«
»Ich bin kein leichtes Mädchen! Und ich teile mit niemandem mein Bett, schon gar nicht mit Ihnen!«
»Vor welchem Mann sind Sie auf der Flucht?«
Dieser Gregor war ihr unheimlich. Kein Wort würde er von ihr erfahren.
»Gut, ich verstehe, dass Sie mir das jetzt nicht sagen wollen. Dann dürfen Sie jetzt raten.«
»Sie gehen jetzt und lassen mich in Ruhe!«
»Gehen Sie doch!«
»Das ist nicht so einfach. Ich habe kein Pferd mehr. Davon abgesehen habe ich ein Abkommen mit dem Leibarzt.«
»Sie buckeln bei unserem Äskulap? Mein herzliches Beileid. «
»Ich diene nicht bei ihm, ich arbeite für ihn.«
»Sie können heilen? Das glaube ich ja nicht! Dann schickt Sie der Himmel.«
Also doch. »Was fehlt Ihnen? Woher
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