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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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kommt überhaupt das viele Blut auf Ihrem Hemd?«
    »Das ist nichts weiter, eine alte Schussverletzung. Kein Grund zur Sorge.«
    Was fehlte ihm dann? »Haben Sie hitzige Wallungen oder ein Gefühl, als ob das Geblüt kochen wolle?«
    »Bisher nicht. Nur jetzt in Ihrer Gegenwart«, sagte er schmunzelnd.
    »Lassen Sie Ihre anzüglichen Bemerkungen. Ich meine es ernst. Todernst.« Helena sah ihn direkt an. »Wissen Sie, ob unter den Franzosen welche mit Ausschlag waren?«
    »Ja, es gab einige mit Syphilis. So ist das eben im Krieg.«
    »Syphilis«, wiederholte Helena tonlos. Beginnende Blattern ließen sich am Anfang kaum von einem Syphilisausschlag unterscheiden. »Gregor, Sie dürfen die Bibliothek in nächster Zeit auf keinen Fall verlassen.«
    »Aber warum nicht?«
    »Weil … Sie müssen es mir versprechen.« Helena schluckte. Sie starrte auf den dunklen Holzfußboden und wünschte sich ganz weit weg. Sie versuchte den Anblick der Großmutter zu verdrängen, die Türe zu schließen, aber Friedemar schlich zu ihr in die Küche, er griff nach ihr, das Notizbuch brannte im Feuer. Wenn die Blattern unter den Franzosen gewesen waren, gab es für Gregor keine Hoffnung mehr.
    Er lächelte. »Ach so, ich verstehe. Sie glauben, ich könnte mir bei einem Soldaten die Lustseuche eingefangen haben? Da kann ich Sie beruhigen. Ich liebe nur meine Aurelia.«
    »Wer ist Aurelia? Waren Sie mit ihr in Berührung?«
    »Wenn Sie schon nicht rätseln wollen, dann hören Sie
mir wenigstens zu. In Ordnung? Also, ich bin Offizier. Das heißt, ich war Offizier. In der österreichischen Armee. Bis ich nicht mehr konnte. Ich bin geflohen, von meiner Truppe, vor dem sinnlosen Krieg und der Übermacht der Franzosen. Hierher. Nur weg von diesen Schlachten. Es ist unvorstellbar. Grausam und hasserfüllt. Sie verfügen über ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir an Menschen, die ihr Vaterland verteidigen wollen. Wir dagegen haben nur kleine und teure Söldnerheere. Bisher galt es, mit kleinen Truppen einen politischen Gegner zu schlagen. Nun stehen unseren Truppen riesige Heere gegenüber, die es als ihre innerste Pflicht ansehen, gegen einen Feind zu kämpfen, der ihre revolutionären Errungenschaften bedroht. In den Kämpfen, die ich erlebt habe, war jegliche Schlachtordnung vergessen. Das Heer ist in alle Winde verstreut. Man kämpfte an vier verschiedenen Fronten gleichzeitig. Es war ein einziges Gemetzel. Kaum hatte man den Feind an der Brust besiegt, so saß er einem wieder im Nacken.
    Als wir bei Biberach ankamen, kannte ich nur noch einen Gedanken: Ich wollte hierher zurück zu meiner Aurelia. Ich wollte sie mitnehmen, mit ihr fortgehen. Stattdessen bin ich den Franzosen in die Hände gefallen. Und ich war nicht der Einzige. Sie brachten uns in das Damenstift Buchau, das zu einem Gefangenenlager geworden war. Es stank nach Fäulnis und Elend. Auf den Fluren, und einfach überall lagen Kranke, Verwundete. Unzählige. So viele, dass der Abzug aus dem Stift schließlich einer Prozession glich. Ich hatte Glück. Ich konnte mich bei Riedlingen in die Büsche schlagen, und nach einem wochenlangen Marsch bin ich schließlich nach Quedlinburg gelangt. Nun verstecke ich mich hier, bin fahnenflüchtig.«

    »Aber wie konnten Sie ungesehen in das Stift gelangen? Die Stadttore sind doch bewacht!«
    »Nicht im Westendorf, da die Fürstäbtissin für die Bewachung der Tore Sorge trägt und da sie dies nicht besonders ernst nimmt, kam ich von Osten her durch das Wassertor. Nach einem kurzen Fußweg durch das nächtliche Westendorf gelangte ich über die Pastorentreppe von der Hinterseite her ins Stift. Gewiss, das war riskant – wäre ich besonnener gewesen, hätte ich vielleicht nach dem Krieg meinen offiziellen Abschied nehmen können, aber nun droht mir als Deserteur der Galgen. Aber viel schlimmer noch ist die Sehnsucht nach meiner Aurelia. Ich vermisse sie so sehr! Mein geliebtes Mädchen … Warum müssen Gefühle immer so wehtun?« Gregor hielt inne. »Wenn ich nur wüsste, ob Aurelia mich noch liebt.«
    »Ist Aurelia eine der Stiftsdamen?«
    Er nickte.
    »Und Sie sind noch nicht bei ihr gewesen?«
    »Glauben Sie, sie kann mir verzeihen, dass ich in den Krieg gezogen bin und sie alleingelassen habe? Was wird sie nur denken, wenn ich so zerlumpt vor ihr stehe? Oder wird sie erleichtert sein, mich überhaupt lebend zu sehen?«
    Helena musterte den Mann, der da vor ihr saß und auf einmal so unsicher wirkte. Lange sah sie ihn an, und es stiegen

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