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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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möchte Ihnen ein neues Stiftsmitglied vorstellen. Ihr Name ist Helena Fechtner. Da sie mir bei meinem Unfall das Leben gerettet hat, wird sie zum heutigen Tag auf außerordentlichen Beschluss bei freier Kost und Logis als Ehrengast in unser Stift aufgenommen.«
    »Nein!«, entfuhr es einer Gräfin, und Helena sah auf. Die junge Dame ihr gegenüber stach mit dem Miederkleid und den hochgesteckten, gepuderten Haaren aus der Reihe der anderen hervor. Ihre Haut war blass, beinahe wie aus Porzellan, und die Lippen waren mit einer zartroten Pomade ausgefüllt. Doch ihre Augen waren ohne Glanz, leer und traurig. Sie hatte einen starren Blick aufgesetzt, als wäre sie in eine andere Welt geflüchtet.
    Helena beäugte die anderen Damen, die ihr mit einer Mischung aus Neugierde und Ehrfurcht entgegensahen. Sie versuchte möglichst freundlich zu lächeln, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen. Von der alten Gräfin mit der gekräuselten Haube gegenüber der Fürstäbtissin wurde sie besonders kritisch in Augenschein genommen. Das schien wohl die Stiftsälteste zu sein, keine sehr sympathische Erscheinung, entschied Helena. Die Falten an Hals und Gesicht harmonierten jedenfalls bestens mit dem gerafften Spitzenhäubchen und die großen Augen und das fliehende Kinn erinnerten sie unweigerlich an eine Riesenschildkröte.
    Die Fürstäbtissin klopfte mit ihrem zusammengeklappten Fächer auf den Tisch, bis sie sich der Aufmerksamkeit
aller wieder gewiss sein konnte. »Meine Damen, ich bin dem Mädchen sehr zu Dank verpflichtet, und ich möchte Sie darum bitten, ihr den nötigen Respekt entgegenzubringen. Sie wird außerdem Monsieur Dottore Tobler auf seinen Visitationen begleiten.«
    Reihum ertönte unzufriedenes Gemurmel. Aus den Gesichtern der Frauen sprach Fassungslosigkeit, nur die blasse Gräfin mit den hochgesteckten Haaren blieb vollkommen teilnahmslos. Ihre Augen waren starr auf den Kerzenleuchter gerichtet.
    Die Fürstäbtissin klopfte nachdrücklich auf den Tisch. »Es ist notwendig, denn der Herrgott zürnt unserer schönen Stadt. Er hat den Quedlinburgern die Blattern gesandt. Keine Aufregung, meine Damen, bitte beruhigen Sie sich! Es besteht kein Grund zur Aufregung. Bitte, Contenance!« Die Fürstäbtissin wartete, bis es etwas ruhiger geworden war. »Die Blattern kommen nicht ins Stift, meine Damen, und es wird keine Inokulationen geben, mit denen Sie sich die Haut ruinieren könnten, seien Sie ohne Sorge. Es wird Ihnen nichts geschehen. Wir vertrauen ganz auf Monsieur Dottore Tobler.«
    Helena spürte, dass der Moment gekommen war. Als sie langsam ihren Stuhl zurückschob und sich erhob, vermied sie es, den Leibarzt anzusehen und fixierte stattdessen das Ölporträt einer längst verstorbenen Fürstäbtissin an der Wand gegenüber. Leise, aber mit fester Stimme sagte sie: »Verzeihung, aber die Blattern sind bereits im Stift. Lea, die kleine Tochter des Stallmeisters, ist an der Seuche erkrankt. «
    »Um Gottes willen!«
    »Das darf nicht wahr sein!«

    Dann wurde es totenstill.
    »Und der Leibarzt …«, Helenas Stimme fing an zu zittern, »er unternimmt nichts. Er ignoriert es einfach!«
    »Ganz recht!« Dottore Tobler sprang von seinem Stuhl auf und schob sich die Perücke zurecht. »Weil man nichts gegen die Blatternseuche ausrichten kann! Gar nichts! Darum ist es wohl mein gutes Recht, die Seuche zu ignorieren und mich wichtigeren Dingen zuzuwenden!«
    Ihr Kopf schnellte herum. »Ja, zum Beispiel einer armen Frau bei der Visitation das letzte Geld aus der Tasche zu ziehen!«
    »Das muss ich mir nicht bieten lassen!«, polterte er, und seine Augen wurden schmal. »Jeder kennt meine Tarife, und ich zwinge das niedere Volk nicht, sich bei mir in Behandlung zu begeben!«
    » Behandeln nennen Sie das?« Helena schlug das Herz bis zum Hals.
    »Werte Fürstäbtissin, verbieten Sie diesem Weib hier auf der Stelle das Maul, oder ich gehe!«
    »Dann will ich Sie nicht aufhalten, werter Äskulap. Das Mädchen ist Mitglied unseres Stifts und genießt damit ebenso wie Sie volle Redefreiheit an diesem Tisch«, entgegnete die Fürstäbtissin mit erstaunlicher Ruhe.
    »Ich habe verstanden.« Der Leibarzt griff nach seinem Stock und ging gemessenen Schrittes zur Türe. Dort drehte er sich noch einmal um. »Sie werden bald sehen, was Sie mit dieser Entscheidung angerichtet haben.«
    Nachdem der Leibarzt den Raum geräuschvoll verlassen hatte, atmete Helena tief durch. Die Angst saß ihr noch immer in den Knochen, aber sie

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