Mädchen und der Leibarzt
aufgebunden habe!« Helena grinste so übertrieben wie sie nur konnte, obwohl ihr zum Heulen zumute war.
»Einen Bären? Ach so, natürlich, einen Bären!« Die Fürstäbtissin lachte, und die Gräfinnen stimmten nacheinander mit ein. »Ach Helena, an deinem jugendlichen Frohsinn sollten wir uns alle ein Beispiel nehmen. Nicht wahr, meine Damen?«
Alle nickten geflissentlich. Nur die Gräfin in dem weißen Miederkleid schüttelte kaum merklich den Kopf. Doch niemand außer Helena schien dies zu bemerken.
Felicitas, die jüngste Gräfin, begann zu kichern. »Wunderbar, das ist eine sehr hübsche Idee. Wir werden uns beim Kaffeetrinken köstliche Bärengeschichten erzählen!«
»Das sähe Ihnen ähnlich, liebe Felicitas Prinzessin von Sachsen-Gotha-Altenburg. Etwas mehr Contenance, wenn
ich bitten darf.« Die Fürstäbtissin nahm ihre Lorgnette und schaute prüfend in die Runde. »Sodann gehe ich davon aus, dass fortan niemand mehr eine Stiftsauflösung für möglich hält?«
Niemand widersprach ihr.
»Bei Gott ist kein Ding unmöglich«, sagte der Stiftskanzler in die plötzliche Stille hinein. »So steht es schon in der Bibel. Wenn ich doch noch etwas hinzufügen darf, gnädigste Fürstäbtissin. Da Sie sich so ehrenvoll in der Geschichte auskennen, sollten Sie nicht verkennen, dass Napoleon ein berechtigtes Interesse daran hat, das Deutsche Reich nicht nur zu verkleinern, sondern ganz zu vernichten. Bei der Neuverteilung der Gebiete werden darum die Württemberger und die Bayern bevorzugt behandelt, um die Preußen und die Österreicher nicht noch zu stärken. Damit hat Napoleon zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Fürsten, die er aus ihrem Schattendasein geholt hat, sind ihm zu Dank verpflichtet, und verbünden sich mit ihm. Dann holt Napoleon zum finalen Schlag aus, und unser Reich segnet das Zeitliche …«
»Sebastian, Sie sollten weniger in der Apokalypse lesen. Bleiben Sie bitte vernünftig! Das Heilige Römische Reich besteht seit bald tausend Jahren und seit dem Westfälischen Frieden ist man an die Erhaltung der Konfessionen gebunden. Das Normaljahr 1624 ist bindend. So wie es in diesem Stichjahr war, sollte der Besitzstand der geistlichen Güter verbleiben. So ist es bis heute geblieben, und daran wird auch dieser Napoleon nichts ändern!«
»Und warum ist es dabei geblieben? Nur weil Rom den Frieden mit Dispensen hingenommen, ihn aber trotz der Ausnahmeregelungen niemals akzeptiert hat!«
»Genauso wird der Papst niemals akzeptieren, dass es zur Verweltlichung kirchlicher Gebiete kommt!«
»Der Papst?« Sebastian sah zur Decke, als würde er den Heiligen Vater dort oben vermuten. »Der Papst wird dieser Tatsache nicht eine Träne nachweinen. Das Stift ist ihm mit seiner separatistischen Tendenz doch schon immer ein Dorn im Auge. Er wird froh sein, wenn dieser leidige Weiberhort endlich verschwindet. Denn was weg ist, kann ihm nicht mehr gefährlich werden. Oder wollen Sie das bestreiten?«
»Nun, als Damenstift haben wir eine wichtige und unersetzliche Aufgabe. Wir sind der Lehm in den Fugen des Reichsgebäudes.«
»Das mag sein, werte Fürstäbtissin. Falls Sie sich jedoch nicht nur mit Geschichte, sondern auch mit der aktuellen Stimmungslage im Reich befasst haben, dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass sich die aufklärerische Stimmung wie ein Sonnenstrahl über unser Land ausgebreitet hat. Alles, was nur irgendwie nach Mönchtum aussieht, wird niedergemacht. Wenn die Fürsten mit den Klöstern fertig sind, dann verschwindet auch der Glaube aus dem Land. Und ohne Glaube keine Kirche, ohne Kirche keine Besitztümer. Sie wird alles verlieren, weil sie eine allein auf dem Glauben erbaute Institution ist.«
»Alsdann können wir ja froh sein, dass wir vom … nun ja, sagen wir vom klösterlichen Leben weit entfernt sind und uns das alles deshalb nichts angeht. Nun beruhigen wir uns erst einmal alle wieder und beendigen diese leidige Diskussion. « Zur Bekräftigung ihrer Worte läutete sie nach ihrem Kammerdiener Borginino.
Doch Sebastian ließ sich nicht beirren. »Haben Gnädigste das Stiftssilber vor dem Krieg gerettet, um es jetzo in den
Schlund des Königs zu werfen? Warum sehen Sie dem allem tatenlos entgegen?«
»Weil ich vernünftig bin, lieber Sebastian. Man kann nur etwas tun, wenn es etwas zu tun gibt. Und für uns gibt es nichts zu tun, verstehen wir uns? Ich stehe Ihnen vor und dabei bleibt es. Beten Sie zum lieben Gott – wir vertrauen auf den Kaiser. Franz II.
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