Mädchen und der Leibarzt
wird sich schon mit Napoleon einigen.«
»Das, liebe Fürstäbtissin, glaube ich Ihnen aufs Wort! Schließlich will der Kaiser als Erzherzog von Österreich ebenfalls bei dem Gebietsschacher mitmachen.«
»Unsinn, Sebastian. Dem Kaiser geht das Wohl unseres Reiches über seine persönlichen Wünsche.«
»Gewiss, wie werte Fürstäbtissin meinen. Die Fürsten werden ganz bestimmt freiwillig von ihren rechtsrheinischen Standesgenossen entschädigt, das Reich leistet ihnen sicherlich mit Zahlungen einen Ausgleich, und alles wird gut!«
»Nun bin ich aber froh, dass Sie endlich zur Räson gekommen sind, mein lieber Sebastian.«
Der Stiftskanzler erhob sich ohne ein weiteres Wort und verließ nach einer knappen Verbeugung den Kapitelsaal.
»Ich möchte bitte ebenfalls gehen«, brachte die Gräfin im weißen Kleid hervor. Helena sah Tränen in ihren Augen.
Die Fürstäbtissin winkte ab. »Nein, noch nicht. Ich habe …«
»Aber gewiss doch«, fiel ihr die Seniorin ins Wort. »Als Gräfin ohne Bemäntelung war sie ohnehin schon viel zu lange anwesend. Aurelia, Sie können gehen.«
KAPITEL 8
A ls Aurelia auf ihr Zimmer kam, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. Irgendetwas war anders als sonst. Sie schaute sich um. Die Reisetruhen standen unverändert da, das Pergament mit dem Stammbaum lag noch immer auf dem Tisch, neben dem Silbertablett, auf dem jedoch die Apfelpfannkuchen und das Brot fehlten. Stirnrunzelnd ließ sie sich auf dem Bett nieder – auch ihr seidenes Kissen war verschwunden.
»Aurelia …«
Die Stimme ging ihr durch Mark und Bein. Seine Stimme. Langsam drehte sie sich um.
Ein Mann mit langen, verfilzten Haaren und zerschlissener Kleidung kam hinter dem Paravent hervor. Er hielt ihr Kissen an seinen Leib gepresst. Sein von der Sonne gegerbtes Gesicht war schmutzig, und sie erkannte nur seine dunkelblauen Augen hinter den dichten Wimpern wieder. Und sein Lächeln.
»Gregor!«
»Ich weiß, Aurelia, es ist lange her.«
»Ja, sehr lange.«
»Du trägst das weiße Kleid von mir …«
Aurelia rührte sich nicht; sie war wie versteinert.
»Aurelia? Hast du Angst vor mir?«
»Nein, es ist nur …«
Er senkte den Kopf. »Du hast geglaubt, ich würde nie mehr zurückkommen.«
Sie nickte. Eine Weile blieb es still, nur ihre Atemzüge waren zu hören, bis Gregor sein Lächeln wiederfand.
»Aber jetzt bin ich da. Lebendig und einigermaßen unversehrt. « Er legte das Kissen ab und breitete die Arme aus. »Freust du dich denn gar nicht? Sehe ich so schrecklich aus?«
»Doch, natürlich freue ich mich.« Es war absurd, vor ihm Angst zu haben.
»Du warst in Wien, ja?«
Sie suchte nach etwas Vertrautem in seinen Augen, nach etwas, das ihr die Sicherheit vermittelte, ihm alles erzählen zu können. »Ja.«
»Ich hatte gehofft, dass du von deinem Vater in Wien aufgenommen wurdest.«
Aurelia überging seine Bemerkung. »Du warst bei den Franzosen?«
»Ich bin aus der Armee geflohen, es war nicht mehr auszuhalten. Ich wollte zu dir, bin dann den Franzosen in die Arme gefallen, ins Damenstift Buchau einquartiert worden – die Bewohnerinnen waren zum Glück rechtzeitig vor den Franzosen geflohen. Ich bin ihnen auch wieder entkommen, aber nicht zurück zu meiner Fahne.«
»Du … du bist desertiert?«
Gregor nickte.
»Aber …« Aurelia blieb die Luft weg. »Aber darauf steht der Tod.«
»Hab keine Angst, sie werden mich nicht finden. Ich habe hier ein schönes Versteck in der Bibliothek, und eure Kost ist auch nicht zu verachten.« Er grinste gezwungen. »Es wird alles gut werden, Aurelia. Entweder ich erhalte
einen Generalpardon, oder ich bitte im Nachhinein um meinen Abschied. Wie auch immer. Man wird mich bestimmt nicht vors Gericht zerren.«
Er ging auf sie zu und nahm ihre Hände. Seine Haut fühlte sich rau an, aber es waren seine Hände … Sie erwiderte seine Berührung, und er begann ihre Finger zu streicheln.
»Was ist denn mit deinem Arm? Bist du verletzt?« Sie fuhr über die dunklen getrockneten Flecken seines Hemdsärmels.
»Das ist nicht so schlimm. Es wird bald verheilt sein. Hauptsache, dir geht es gut, und wir sind zusammen.«
Aurelia sah ihn an, aber ihr Mund blieb verschlossen. Nur in Gedanken konnte sie die Worte formen, die ihr so schwer auf dem Herzen lagen. Gregor, bitte verzeih mir.
»Aurelia, was ist los? Hast du Kummer? Du bist so in dich gekehrt …«
Ich bin schwanger, Gregor.
»Aurelia, soll ich besser gehen?«
»Nein, Gregor! Bleib, bitte.«
»Du zitterst ja.
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