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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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Zufrieden betrachtete Helena ihr Werk. Dass es ihr so gut gelingen würde, hätte sie niemals geglaubt. Ihr Blick wanderte von den zarten, spitzen Schuhen über die am Hintern weit ausladende blaue Robe, die schmale Taille, bis hinauf zu den Brüsten, die sich wie kleine Äpfel hinter dem Stoff verbargen.
    »Wahrlich, Helena, du hast gute Arbeit geleistet. Vielen Dank.« Noch bevor Helena darauf antworten konnte, schlug die Kirchturmuhr die zwölfte Stunde.
    »Guter Gott, steh mir bei.« Zitternd nahm Aurelia ihr Gebetbuch und das Stammbaumpergament an sich. »Wir müssen gehen! Hoffentlich ist alles für die Zeremonie vorbereitet. «

    Die Orgel blieb stumm, als Aurelia mit dem Läuten der Mittagsglocke das Kirchenschiff betrat.
    Ihre Schritte hallten einsam durch den Raum, als sie durch den von mächtigen Stützen und Pfeilern gesäumten Mittelgang in Richtung Altar schritt. Aufrecht und mit erhobenem Kopf, als würde dort der Bräutigam auf sie warten.

    Helena rutschte lautlos in die hinterste Bank auf der Empore, wo sie hinter Arkadenbögen dem Geschehen unauffällig wie in einer Theaterloge beiwohnen wollte. Und sie konnte nicht glauben, was sie hier sah: leere Kirchenbänke als stumme Zeugen, hölzerne Begleiter auf Aurelias verlassenem Weg. Niemand war gekommen. Weder die Fürstäbtissin noch der Pfarrer, einfach niemand.
    Aurelia ließ sich in der vordersten Bankreihe nieder, verlor aber nicht an Haltung. Sie senkte das Haupt, vielleicht betete sie. Helena sehnte Schritte herbei, die das Herannahen der Fürstäbtissin oder des Pfarrers ankündigten, irgendetwas. Beidseits des schlichten Altars führten langgezogene Treppen hinauf zum Hohen Chor, wo sich die Kirchenorgel in eine Nische kauerte. Die Stille lag drückend im Kirchenraum.
    Als könnte Aurelia die Last nicht mehr tragen, sank sie in sich zusammen und Helena sah, wie sie sich immer wieder über die Augen wischte, ihre Tränen waren lautlos, kein Schluchzen entwich ihr. Ab und zu drehte sie sich zur Kirchentüre um. Niemand kam.
    Lange saß Aurelia so da, es verging bestimmt eine halbe Stunde, in der auch Helena noch auf den Beginn der Zeremonie hoffte. Dann gab die Gräfin auf. Sie erhob sich, ging ein paar Schritte den Mittelgang zurück und faltete die Hände über dem Bauch. Dann nickte sie, als hätte sie einen Entschluss gefasst und machte sich auf, die Kirche zu verlassen. Da begriff auch Helena, dass die Zeremonie tatsächlich nicht mehr stattfinden würde, und nach einem letzten Blick hinunter in das Kirchenschiff verließ sie die Empore.
    Als sei es Teil des bösen Spiels, begannen in diesem Augenblick die Glocken wieder zu läuten, mit tiefem Ton und
alles durchdringend. Helena schaute nach oben, als könnte sie sich verhört haben. Doch als die kleine Orgel im Altarraum erklang, hell und fließend wie ein munterer Bachlauf, eilte sie die Stufen hinauf auf die Empore.
    Der Diener Borginino schickte sich mit dem ihm eigenen Lächeln gerade an, drei Stühle vor den Altar zu stellen, in aller Seelenruhe, als sei es noch früh am Vormittag und nicht schon längst Zeit für die Zeremonie. Alsdann erschien der Stiftskanzler und breitete einen blausamtenen Umhangmantel davor aus. Er zog ihn mit aller Sorgfalt glatt, damit das Stiftswappen ordentlich zur Geltung kam, zwei überkreuzte silberne Kredenzmesser auf rotem Hintergrund, darüber ein Fürstenhut und in diesen eingelassen das Ende eines Krummstabs.
    Als Sebastian seine Vorbereitungen beendet hatte, setzte die Orgel zu einem prächtigen und erhabenen Lied an, stolz dahinschreitende Akkorde kündigten den Einzug des Kapitels an. Tatsächlich betrat die Fürstäbtissin kurz darauf im Gefolge der Damen den Raum, als hätte es eben erst zu Mittag geschlagen. Die Gräfinnen hatten kostbare und farbenfrohe Musselinkleider angezogen, nur die Fürstäbtissin und Aurelia trugen die altmodische Stiftstracht.
    Aurelia wich vor dem vorbeischreitenden Kapitelzug in eine der Kirchenbänke zurück, offenkundig traute sie ihren Augen nicht. In einigem Abstand folgte der Äskulap, der ein Gesicht aufgesetzt hatte, als ginge ihn das alles nichts an. Er ging an Aurelia vorbei, um den Platz neben der jüngsten Gräfin zu ergattern, die sich in vorderster Reihe niedergelassen hatte.
    Aurelia wartete, bis sich die Fürstäbtissin und die Stiftsälteste auf den beiden äußeren Stühlen vor dem Altar niedergelassen
hatten. Auf einen Wink der Seniorin verstummte die Orgel, und Aurelia trat nach vorn, kniete einen

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