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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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Augenblick vor dem feierlich ausgebreiteten Mantel nieder, dann erhob sie sich wie von unsichtbaren Fäden gezogen und umrundete gemessenen Schrittes den Altar. Schließlich setzte sie sich mit nervösem Blick, aber unverändert konzentriert, zwischen die Fürstäbtissin und die Seniorin Gräfin Maria.
    Auf einen zweiten Wink hin trat Sebastian wieder vor, kniete vor der Fürstäbtissin nieder und wartete, bis das Glockenläuten allmählich verklang. Nun erst konnte man das Gemurmel der Damen vernehmen, das selbst unter dem strafenden Blick der Fürstäbtissin über deren Schulter hinweg nicht sogleich verebbte. Es dauerte eine Weile, bis vollkommene Ruhe eingekehrt war und Sebastian zu seiner Rede ansetzen konnte.
    »In Gottes Namen bitte ich hochwohlgeborene, gnädigste Fürstäbtissin Sophie Albertine, Prinzessin von Schweden, um die Aufnahme der Aurelia Gräfin von Hohenstein. Sie hat sich in ihrem Residenzjahr wohl verhalten, ihr tägliches Gebet zur Zufriedenheit verrichtet, und nun bittet sie, ihr die Aufnahme gnädigst zu gewähren. Sie gelobt durch geistlichen Fleiß ihre Präbende zu verdienen und den Statuten des Stifts Gehorsam zu leisten.«
    »Ich gelobe, so war es und so sei es«, flüsterte Aurelia mit dünner Stimme, den Blick in Richtung Stiftsmantel gerichtet.
    »Hiermit schwört Aurelia Gräfin von Hohenstein, fünfunddreißig Wochen jährlich ihre Pfründe persönlich zu verwesen und gegenwärtig zu sein. Sich nie ohne Erlaubnis aus dem Stifte fortzubegeben und nicht …«

    »Nicht erschrecken …«, flüsterte es plötzlich an Helenas Seite. Sie fuhr zusammen.
    »Nicht erschrecken, sagte ich doch.«
    »Um Gottes willen, Gregor! Wo kommst du denn her?«
    Er kauerte sich neben sie. »Durch die Türe, den Boden entlanggekrochen, bis zu dir in die Kirchenbank.«
    »Bist du wahnsinnig?«
    »Nein«, gab er leichthin zurück, so als verstehe er die ganze Aufregung nicht. »Ich wollte nur kurz vorbeischauen.«
    »Du sollst unter allen Umständen im Sternenzimmer bleiben«, zischte sie ihm zu.
    »Ich bin niemandem zu nahe gekommen. Ehrenwort!«
    »Und was ist mit Aurelia?«, herrschte sie ihn mit zusammengebissenen Zähnen und in aller Direktheit an. »Hast du sie geküsst, als du bei ihr warst? Sag mir die Wahrheit!«
    Gregor schien nicht sonderlich überrascht, und er suchte erst gar nicht nach Ausflüchten. »Ich war bei ihr, ja, aber es ist nichts weiter passiert. Abgesehen davon musst du dir keine Sorgen mehr machen. Es ist vorbei, denn sie will nichts mehr von mir wissen. Sie hat meinen Heiratsantrag abgelehnt«, gab er voller Bitterkeit zu, »und ich denke, sie hat sich ganz dem Stift verschrieben oder … sie liebt einen anderen Mann.« Er verstummte.
    »Ich gelobe die Statuten zu halten und bitte Eure Fürstliche Gnaden um Gottes, Singens, Lesens und Betens willen, Sie mögen mir diese Pfründe verleihen«, tönte es zu ihnen hinauf.
    »Wir verleihen dir, Aurelia Gräfin von Hohenstein, diese Pfründe um Gottes, Singens, Lesens und Betens willen, Gott zum Lob und jenen Seelen zum Trost, die diese Pfründe gestiftet haben.«

    Helena sah Gregor an. »Und warum bist du dann hier?«
    Er nestelte an seiner durchlöcherten Leinenhose herum und flüsterte kaum verständlich: »Weißt du, wie das ist, wenn man keine Gelegenheit hat, Abschied zu nehmen? Kennst du das? Ich wollte sie nur noch einmal sehen. Mehr nicht. Aurelia hat sich gegen mich entschieden, und das muss ich akzeptieren. Aber ich wollte sie wenigstens noch ein letztes Mal sehen.«
    In diesem Moment erklang die Stimme der Fürstäbtissin: »So sollst du, Aurelia Gräfin von Hohenstein, von nun an Kapitulardame in unserem kaiserlich freiweltlichen Damenstift zu Quedlinburg sein. Nimm den Mantel als Zeichen der Aufnahme, der bindet weder zum Geistlichen noch zum Weltlichen.«
    Auf diese Worte hin hob der Stiftskanzler den üppigen Samtstoff vom Boden auf und schritt zu Aurelia, die ihm freudestrahlend entgegensah. Auf einmal verfing sich sein Fuß in der langen Stoffbahn, Sebastian strauchelte, ausgerechnet die Seniorin hatte genügend Geistesgegenwart und wollte den Stiftskanzler auffangen, doch er entglitt ihren Armen, fiel mit dem Mantel in Händen hin und schlug mit dem Kinn auf dem Boden auf. Mit einem Aufschrei hielt sich Aurelia die Hände vors Gesicht.
    Als Sebastian sich aufrichtete, sah Helena, wie etwas Blut von seiner Kinnwunde auf den Mantel tropfte und den kostbaren Stoff befleckte. Die Fürstäbtissin sprang auf und rief nach

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