Maedchenjagd
hatte. Nadine hatte sie in der Toilette hinuntergespült, und am nächsten Tag schwammen neue Goldfische im Aquarium. Er selbst hatte nie einen Fuß in die Tierhandlung gesetzt, war nie im Kino oder bei einer Sportveranstaltung gewesen, hatte nie einen Freund gehabt. »Du bist nicht wie die anderen Kinder«, hatte Nadine gesagt. »Die anderen Kinder spielen, weil sie nichts Besseres zu tun haben. Sie sind einfach nicht schlau genug, um sich mit Physik zu beschäftigen oder Nietzsche zu lesen.«
Nadine selbst war weit davon entfernt, ein Wunderkind oder Genie zu sein, und sie trichterte ihm täglich ein, wie dankbar er für seine Begabung sein sollte. Ihre Eltern waren beide Universitätsprofessoren und anerkannte Wissenschaftler gewesen und waren ganz und gar in den egozentrischen Gewässern des akademischen Betriebs untergetaucht. Sie wollten in ihrem Kind die Kombination ihrer überlegenen Chromosomensätze zur Schau stellen. Doch egal, wie viele Stunden Nadine am Schreibtisch saß, sie blieb eine unterdurchschnittliche Schülerin, die sich nur durch ihren eisernen Willen an der Oberfläche hielt. Als sie einen Sohn gebar, freuten sich Nadines Eltern über seine Intelligenz. Sie analysierten und berechneten seine intellektuellen Fähigkeiten, und seine Mutter erkannte, dass ihr Sohn ihr endlich die Anerkennung verschaffen würde, nach der sie sich immer gesehnt hatte.
Damals formierte sich in Alex die Vorstellung, dass seine Mutter in dem kleinen roten Karren voller Bücher und Puzzles saß, den er überallhin mit sich zog. Schon als kleiner Junge wusste er, dass er auch Nadine hinter sich herziehen musste, und als er älter wurde, machte Nadine ihm klar, dass er nicht nur für sie, sondern für die ganze Familie geradestehen sollte.
Mit acht Jahren begann er unter Migräneattacken zu leiden, die so heftig waren, dass ihm schien, jemand habe seine Schädeldecke abgetrennt und Piranhas hineingekippt, die sich an seiner Hirnmasse satt fraßen. Nadine hielt seine Kopfschmerzen für eine Folge seiner besonderen Begabung. Auch wenn er tagelang in dunklen Räumen ausharren musste, verweigerte sie ihm jede medizinische Behandlung, weil sie der Ansicht war, dass Medikamente seinen Geist träge machen würden.
Andere Kinder mieden ihn, und die Lehrer an der elitären Privatschule hielten ihn zwar für hochbegabt, doch unerzogen und unausstehlich. Ein Bericht nach dem anderen empfahl, ihn wegen seines aggressiven und asozialen Benehmens psychologisch untersuchen zu lassen.
Das Einzige, was er von seiner ersten Gewalttat in Erinnerung hatte, war die Tatsache, dass man ihm ein ungeschicktes und langsames Mädchen als Partnerin bei den Laborversuchen zugewiesen hatte. Das Gericht erkannte an, unter welchen Frustrationen ein Genie zu leiden hatte. Alles andere klärte der ehemalige Richter, den Nadine zur Verteidigung angeheuert hatte. Das Gericht einigte sich auf eine Stippvisite in der Psychiatrie statt in der Jugendstrafanstalt, und Nadine erklärte ihrem Sohn, dass es eine Art Urlaub werden würde.
Er wurde in eine staatliche Klinik eingewiesen, ein schmutziges und menschenverachtendes Loch, in dem jegliche missgebildeten Kreaturen versammelt und wie Tiere gehalten wurden. Er wurde unter Drogen gesetzt, analysiert, gespritzt und endlosen Untersuchungen unterzogen. Zweimal wurde er vergewaltigt, und einmal stach ihm ein Patient ein Messer ins Bein. Er hörte zu sprechen auf und wurde im Strudel seines verwirrten Verstandes in die Tiefe gerissen. Drei Monate lang trug er sogar Windeln.
Doch dann lernte er Jennifer kennen und war das erste Mal in seinem Leben glücklich. Sie begegneten sich bei der wöchentlich stattfindenden Tanzveranstaltung, als er einen seiner klareren Momente hatte. Jennifer trug ein wunderschönes weißes Kleid, genau wie jenes, das er Shana gekauft hatte.
Er war noch immer tief in Gedanken an Jennifer versunken, als eine Hand durchs Wagenfenster griff und ihn an der Schulter rüttelte. Er riss die dunklen Augen auf und packte die Hand in einem eisernen Griff.
»Lass meine Hand los«, sagte der Wachmann, riss sich los und rieb sich das Handgelenk. »Du musst woanders parken. Du darfst hier nicht schlafen.«
Das Kreischen in seinem Kopf bohrte sich in sein Trommelfell. Er rief sich das Bild eines Teichs vor Augen und versuchte, Stille zu finden. Unter Wasser gab es keinen Lärm. »Entschuldige, Ralph«, sagte er zu dem Wachmann. »Ich war auf Reisen und habe noch keine Unterkunft gefunden. Ich
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