Maedchenjagd
Ein Speichelfaden hing ihr aus dem Mund. Ihre offenen Augen waren leer.
Alex schloss den Kofferraum und setzte sich auf den Fahrersitz. Er schwitzte, mit dem Hemdsärmel wischte er sich über das Gesicht. Shana wog nicht viel, aber weil sie bewusstlos war, war es anstrengend, sie zu schleppen. Das ohrenbetäubende Summen in seinem Kopf schmerzte wie ein bösartiger Tumor, der an die Schädeldecke drückte. Die Vorstellung, die er von seinem Gehirn hatte, erinnerte mehr an ein menschliches Herz, ein lebloses, blutleeres Herz. Er starrte auf das Meer und rief sich das Bild von dem Teich ins Gedächtnis; es war das einzig Brauchbare, das er in all den Jahren Psychotherapie gelernt hatte.
»Der Teich«, flüsterte Alex und ließ das Wort auf seiner Zunge zergehen wie eine Köstlichkeit, wie eine Hostie. »Wir sind bald da, Jennifer.«
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34
Dienstag, 2 . Februar
Ventura, Kalifornien
L ily riss im Dunkeln die Augen auf.
Sie tastete nach ihrem Nachthemd, es war schweißnass. Im Traum war sie in einem schmutzig roten, durch das Nichts trudelnden Wolkentrichter eingeschlossen gewesen. Alle Gegenstände aus dem Haus, all ihre Stühle, Tische und Betten wirbelten um sie herum. Dann sah sie einen Mann, von dem sie wusste, dass es Alex war. Sein Grinsen zog sein Gesicht auseinander, als sei es aus Gummi, und er schwebte vor ihr mit einem weißen Blumenstrauß in der Hand. Von der Hüfte abwärts war er nackt, und seine Erektion war gewaltig. Kurz bevor sie aufwachte, machte er eine Verbeugung vor ihr, und als er den Kopf wieder hob, richtete er eine abgesägte Schrotflinte auf ihr Gesicht und lachte laut und hart. Sie schrie, dass er aufhören solle, doch er schoss. Wie Felsbrocken rasten die Kugeln an ihr vorbei.
Nicht einmal im Schlaf gelang es Lily, diesem schrecklichen Mann zu entkommen, der Mann, der ihr die Tochter hatte wegnehmen wollen. Alex hatte sich in ihrem Gehirn eingenistet.
Sie drehte sich auf die Seite, schmiegte sich an Chris und versuchte, wieder einzuschlafen. Doch sie konnte nicht aufhören, an Alex zu denken. War er tatsächlich am Leben? Und wenn ja, wo war er? Hatte er Ventura verlassen, Shana aufgegeben und sich jemand Neuem zugewandt? Sie musste einen Weg finden, seinen Wahnsinn zu entwirren und die Spur zu verfolgen, die sie zu ihm führen würde. Auch wenn Alex Shana nicht erstochen und ihr die Knochen nicht zertrümmert hatte, so hatte er ihr doch beinahe den Verstand geraubt.
Sie stand auf und ging ins Bad. Auf dem Weg durch den schmalen Korridor, der links und rechts von Schränken gesäumt war, fiel ihr Blick auf das grüne Licht an der Alarmanlage. Sie blieb stehen und starrte verschlafen darauf. Sie erinnerte sich, dass sie die Alarmanlage eingeschaltet hatte, bevor sie ins Bett gegangen war.
»Chris.« Sie tippte ihm leicht auf die Schulter.
»Was? Wie spät ist es?«
»Hast du die Alarmanlage ausgeschaltet?«
»Nein«, murmelte er und drehte sich wieder auf die Seite, wobei er sich die Bettdecke über die Schulter zog.
»Die Anlage war eingeschaltet, als ich ins Bett gegangen bin, und jetzt ist sie aus.«
»Du liebe Güte, Lily, schalte sie ein und schlaf weiter. Wahrscheinlich hast du’s einfach vergessen.«
Innerhalb weniger Augenblicke schnarchte er. Sie wollte zurückgehen, doch eine schreckliche Vorahnung erfasste sie. »Nein«, sagte sie und rüttelte erneut an Chris. »Ich habe es nicht vergessen.«
Er war jetzt wach und mürrisch. Er beugte sich zur Lampe und schaltete sie ein. »Warum weckst du mich? Jetzt werde ich nicht wieder einschlafen können, dabei habe ich morgen einen harten Tag.«
Lily warf den Morgenmantel über und eilte zum Gästezimmer.
Das Bett war leer.
Wohin war Shana mitten in der Nacht gegangen? Sie sah in der Garage nach, aber beide Autos waren da.
Sie kehrte in Shanas Zimmer zurück, setzte sich auf einen Stuhl und starrte in die Dunkelheit. Warum tat sie ihr das an? Sie wollte schreien, sich auf den Boden werfen, vor Verzweiflung um sich schlagen. Ihre Tochter war fort, vielleicht entführt. Ein Wahnsinniger, der angeblich tot war, verfolgte sie, womöglich mit der Absicht, sie zu töten.
Plötzlich ging das Licht an. Im Morgenmantel stand Chris in der Tür. »Ich habe geahnt, dass sie abhauen könnte. Auch wenn sie sich nichts anmerken lässt, muss sie doch furchtbar wütend sein, dass du sie in die Psychiatrie gebracht hast. Vielleicht will sie es uns heimzahlen.«
»Nein, du täuschst dich«, erwiderte Lily. »Etwas Schreckliches
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